Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

Wand anzuschreiben; dennoch ergözet den Nach¬
fahrer ein Vorgänger sehr dadurch, daß er auch
da gewesen, und die leichte Spur eines Unbe¬
kannten einem Unbekannten nachgelassen. Frei¬
lich schreiben einige nur den Namen und Jahrs¬
zahl an; aber einem wohlwollenden Menschen
ist auch ein leerer Name lieb, ohne welchen eine
entrückte verreisete Gestalt doch mehr ein Begrif
bliebe als ein Begriffenes, weniger ein Mensch
als eine luftige, auch wohl ätherische Mensch¬
heit. Und warum soll man denn einen leeren
Gedanken lieber haben und vergeben, als einen
leeren Namen? -- Ich nehm' es gar nicht übel,
daß einer bloshin anschrieb I. P. F. R. Wonsi¬
del
: Martii anno 1793 -- oder ein anderer Vi¬
vat
die A. etc., die B. etc., die C. etc., die I. etc.
-- oder das Französische, Griechische, Lateini¬
sche, auch Hebräische. -- Und es stehen ja oft
kostbare Sentenzen daran wie folgende: "im
physischen Himmel glauben wir stets in der
Mitte zu sein; aber in Rücksicht des innerli¬
chen glauben wir immer am Horizont zu stehen;
im östlichen, wenn wir frohlocken, im west¬

Wand anzuſchreiben; dennoch ergoͤzet den Nach¬
fahrer ein Vorgaͤnger ſehr dadurch, daß er auch
da geweſen, und die leichte Spur eines Unbe¬
kannten einem Unbekannten nachgelaſſen. Frei¬
lich ſchreiben einige nur den Namen und Jahrs¬
zahl an; aber einem wohlwollenden Menſchen
iſt auch ein leerer Name lieb, ohne welchen eine
entruͤckte verreiſete Geſtalt doch mehr ein Begrif
bliebe als ein Begriffenes, weniger ein Menſch
als eine luftige, auch wohl aͤtheriſche Menſch¬
heit. Und warum ſoll man denn einen leeren
Gedanken lieber haben und vergeben, als einen
leeren Namen? — Ich nehm' es gar nicht uͤbel,
daß einer bloshin anſchrieb I. P. F. R. Wonſi¬
del
: Martii anno 1793 — oder ein anderer Vi¬
vat
die A. etc., die B. etc., die C. etc., die I. etc.
— oder das Franzoͤſiſche, Griechiſche, Lateini¬
ſche, auch Hebraͤiſche. — Und es ſtehen ja oft
koſtbare Sentenzen daran wie folgende: „im
phyſiſchen Himmel glauben wir ſtets in der
Mitte zu ſein; aber in Ruͤckſicht des innerli¬
chen glauben wir immer am Horizont zu ſtehen;
im oͤſtlichen, wenn wir frohlocken, im weſt¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0179" n="171"/>
Wand anzu&#x017F;chreiben; dennoch ergo&#x0364;zet den Nach¬<lb/>
fahrer ein Vorga&#x0364;nger &#x017F;ehr dadurch, daß er auch<lb/>
da gewe&#x017F;en, und die leichte Spur eines Unbe¬<lb/>
kannten einem Unbekannten nachgela&#x017F;&#x017F;en. Frei¬<lb/>
lich &#x017F;chreiben einige nur den Namen und Jahrs¬<lb/>
zahl an; aber einem wohlwollenden Men&#x017F;chen<lb/>
i&#x017F;t auch ein leerer Name lieb, ohne welchen eine<lb/>
entru&#x0364;ckte verrei&#x017F;ete Ge&#x017F;talt doch mehr ein Begrif<lb/>
bliebe als ein Begriffenes, weniger ein Men&#x017F;ch<lb/>
als eine luftige, auch wohl a&#x0364;theri&#x017F;che Men&#x017F;ch¬<lb/>
heit. Und warum &#x017F;oll man denn einen leeren<lb/>
Gedanken lieber haben und vergeben, als einen<lb/>
leeren Namen? &#x2014; Ich nehm' es gar nicht u&#x0364;bel,<lb/>
daß einer bloshin an&#x017F;chrieb <hi rendition="#aq">I</hi>. <hi rendition="#aq">P</hi>. <hi rendition="#aq">F</hi>. <hi rendition="#aq">R</hi>. <hi rendition="#aq">Won&#x017F;<lb/>
del</hi>: <hi rendition="#aq">Martii anno</hi> 1793 &#x2014; oder ein anderer <hi rendition="#aq">Vi¬<lb/>
vat</hi> die <hi rendition="#aq">A</hi>. <hi rendition="#aq">etc</hi>., die <hi rendition="#aq">B</hi>. <hi rendition="#aq">etc</hi>., die <hi rendition="#aq">C</hi>. <hi rendition="#aq">etc</hi>., die <hi rendition="#aq">I</hi>. <hi rendition="#aq">etc</hi>.<lb/>
&#x2014; oder das Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che, Griechi&#x017F;che, Lateini¬<lb/>
&#x017F;che, auch Hebra&#x0364;i&#x017F;che. &#x2014; Und es &#x017F;tehen ja oft<lb/>
ko&#x017F;tbare Sentenzen daran wie folgende: &#x201E;im<lb/>
phy&#x017F;i&#x017F;chen Himmel glauben wir &#x017F;tets in der<lb/><hi rendition="#g">Mitte</hi> zu &#x017F;ein; aber in Ru&#x0364;ck&#x017F;icht des innerli¬<lb/>
chen glauben wir immer am Horizont zu &#x017F;tehen;<lb/>
im <hi rendition="#g">o&#x0364;&#x017F;tlichen</hi>, wenn wir frohlocken, im <hi rendition="#g">we&#x017F;<lb/></hi></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[171/0179] Wand anzuſchreiben; dennoch ergoͤzet den Nach¬ fahrer ein Vorgaͤnger ſehr dadurch, daß er auch da geweſen, und die leichte Spur eines Unbe¬ kannten einem Unbekannten nachgelaſſen. Frei¬ lich ſchreiben einige nur den Namen und Jahrs¬ zahl an; aber einem wohlwollenden Menſchen iſt auch ein leerer Name lieb, ohne welchen eine entruͤckte verreiſete Geſtalt doch mehr ein Begrif bliebe als ein Begriffenes, weniger ein Menſch als eine luftige, auch wohl aͤtheriſche Menſch¬ heit. Und warum ſoll man denn einen leeren Gedanken lieber haben und vergeben, als einen leeren Namen? — Ich nehm' es gar nicht uͤbel, daß einer bloshin anſchrieb I. P. F. R. Wonſi¬ del: Martii anno 1793 — oder ein anderer Vi¬ vat die A. etc., die B. etc., die C. etc., die I. etc. — oder das Franzoͤſiſche, Griechiſche, Lateini¬ ſche, auch Hebraͤiſche. — Und es ſtehen ja oft koſtbare Sentenzen daran wie folgende: „im phyſiſchen Himmel glauben wir ſtets in der Mitte zu ſein; aber in Ruͤckſicht des innerli¬ chen glauben wir immer am Horizont zu ſtehen; im oͤſtlichen, wenn wir frohlocken, im weſt¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/179
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/179>, abgerufen am 23.11.2024.