Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.Ein Frühprediger, dessen Kehlkopf mehr zur Ein Fruͤhprediger, deſſen Kehlkopf mehr zur <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0188" n="180"/> <p>Ein Fruͤhprediger, deſſen Kehlkopf mehr zur<lb/> Kanzel-Proſa als zur Altar-Poeſie geſtimmt<lb/> war, ruͤckte zu einer Stelle hinauf, die ihn<lb/> zwang, vor dem Altare das „Gott in der Hoͤhe<lb/> ſei Ehr'“ zu ſingen. Er nahm viele Singſtun¬<lb/> den; endlich nach vierzehn Singtagen ſchmeichel¬<lb/> te er ſich, den Vers in der Gewalt und Kehle<lb/> zu haben. Die halbe Stadt gieng fruͤher in die<lb/> Kirche, um der Anſtrengung zuzuhoͤren. Ganz<lb/> muthig trat er aus der Sakriſtei, (denn er hatte<lb/> ſich darin vom Singmeiſter noch einmal leiſe<lb/> uͤberhoͤren laſſen,) und ſtieg gefaſt auf den Al¬<lb/> tar. Alle Erzaͤhler der Anekdote ſtimmen uͤber¬<lb/> ein, daß er treflich angehoben, und ſich anſtaͤn¬<lb/> dig genug in den Choral hineingeſungen hatte:<lb/> als zu ſeinem Ruin ein blaſender Poſtillion drauſ¬<lb/> ſen vor der Kirche vorbei ritt, und mit dem Poſt¬<lb/> horn ins Kirchenlied einfiel; — das Horn hob<lb/> den Prediger aus dem alten Sing-Geleiſe in ein<lb/> neues hinein, und er ſah ſich gezwungen, das<lb/> ernſte Lied mitten vor dem Altare nach dem vor¬<lb/> beireitenden Trompeterſtuͤkgen, auf die luſtigſte<lb/> Weiſe hinauszuſingen.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [180/0188]
Ein Fruͤhprediger, deſſen Kehlkopf mehr zur
Kanzel-Proſa als zur Altar-Poeſie geſtimmt
war, ruͤckte zu einer Stelle hinauf, die ihn
zwang, vor dem Altare das „Gott in der Hoͤhe
ſei Ehr'“ zu ſingen. Er nahm viele Singſtun¬
den; endlich nach vierzehn Singtagen ſchmeichel¬
te er ſich, den Vers in der Gewalt und Kehle
zu haben. Die halbe Stadt gieng fruͤher in die
Kirche, um der Anſtrengung zuzuhoͤren. Ganz
muthig trat er aus der Sakriſtei, (denn er hatte
ſich darin vom Singmeiſter noch einmal leiſe
uͤberhoͤren laſſen,) und ſtieg gefaſt auf den Al¬
tar. Alle Erzaͤhler der Anekdote ſtimmen uͤber¬
ein, daß er treflich angehoben, und ſich anſtaͤn¬
dig genug in den Choral hineingeſungen hatte:
als zu ſeinem Ruin ein blaſender Poſtillion drauſ¬
ſen vor der Kirche vorbei ritt, und mit dem Poſt¬
horn ins Kirchenlied einfiel; — das Horn hob
den Prediger aus dem alten Sing-Geleiſe in ein
neues hinein, und er ſah ſich gezwungen, das
ernſte Lied mitten vor dem Altare nach dem vor¬
beireitenden Trompeterſtuͤkgen, auf die luſtigſte
Weiſe hinauszuſingen.
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