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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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nicht, daß allein mein hoher Stand sie so er¬
schüttert.

Was gehen mich gefürstete Hüte und Stüh¬
le mehr an? Ich schenke alles dem Gott der
Liebe hin; "wenn du mich auch kennst, Jung¬
frau, sag' ich, so liebe mich doch": sie redet
nicht, aber ihre Nachtigall fliegt auf meine
Schulter und singt. "Sieh!" sag' ich ehrerbie¬
tig und mehr nicht; und nehme ihre rechte Hand
und drücke sie mit beiden Händen fest an mein
Herz. Sie will sie aber mit der linken holen und
losmachen; aber ich fasse und drücke nun auch
die Linke. So bleiben wir, ich seh' sie unauf¬
hörlich an, und sie blickt zuweilen auf, ob ich's
noch thue. "Jungfrau, wie ist dein Name?"
sag' ich spät. So leise, daß ich's kaum verneh¬
me, sagt sie: Wina. Mich durchzittert der
Laut wie eine ferne alte Bruder-Stimme.

"Wina bedeutet Siegerin" antwort' ich. Sie
drückt, glaub' ich, schwach meine Hand; die
Liebe hat sie erhoben, über Pfarrers- und über
Prinzenstand. So blick' ich sie unaufhörlich an,
und sie mich zuweilen -- die rufenden Nachti¬

nicht, daß allein mein hoher Stand ſie ſo er¬
ſchuͤttert.

Was gehen mich gefuͤrſtete Huͤte und Stuͤh¬
le mehr an? Ich ſchenke alles dem Gott der
Liebe hin; „wenn du mich auch kennſt, Jung¬
frau, ſag' ich, ſo liebe mich doch“: ſie redet
nicht, aber ihre Nachtigall fliegt auf meine
Schulter und ſingt. „Sieh!“ ſag' ich ehrerbie¬
tig und mehr nicht; und nehme ihre rechte Hand
und druͤcke ſie mit beiden Haͤnden feſt an mein
Herz. Sie will ſie aber mit der linken holen und
losmachen; aber ich faſſe und druͤcke nun auch
die Linke. So bleiben wir, ich ſeh' ſie unauf¬
hoͤrlich an, und ſie blickt zuweilen auf, ob ich's
noch thue. „Jungfrau, wie iſt dein Name?“
ſag' ich ſpaͤt. So leiſe, daß ich's kaum verneh¬
me, ſagt ſie: Wina. Mich durchzittert der
Laut wie eine ferne alte Bruder-Stimme.

„Wina bedeutet Siegerin“ antwort' ich. Sie
druͤckt, glaub' ich, ſchwach meine Hand; die
Liebe hat ſie erhoben, uͤber Pfarrers- und uͤber
Prinzenſtand. So blick' ich ſie unaufhoͤrlich an,
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[39/0047] nicht, daß allein mein hoher Stand ſie ſo er¬ ſchuͤttert. Was gehen mich gefuͤrſtete Huͤte und Stuͤh¬ le mehr an? Ich ſchenke alles dem Gott der Liebe hin; „wenn du mich auch kennſt, Jung¬ frau, ſag' ich, ſo liebe mich doch“: ſie redet nicht, aber ihre Nachtigall fliegt auf meine Schulter und ſingt. „Sieh!“ ſag' ich ehrerbie¬ tig und mehr nicht; und nehme ihre rechte Hand und druͤcke ſie mit beiden Haͤnden feſt an mein Herz. Sie will ſie aber mit der linken holen und losmachen; aber ich faſſe und druͤcke nun auch die Linke. So bleiben wir, ich ſeh' ſie unauf¬ hoͤrlich an, und ſie blickt zuweilen auf, ob ich's noch thue. „Jungfrau, wie iſt dein Name?“ ſag' ich ſpaͤt. So leiſe, daß ich's kaum verneh¬ me, ſagt ſie: Wina. Mich durchzittert der Laut wie eine ferne alte Bruder-Stimme. „Wina bedeutet Siegerin“ antwort' ich. Sie druͤckt, glaub' ich, ſchwach meine Hand; die Liebe hat ſie erhoben, uͤber Pfarrers- und uͤber Prinzenſtand. So blick' ich ſie unaufhoͤrlich an, und ſie mich zuweilen — die rufenden Nachti¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/47>, abgerufen am 29.04.2024.