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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

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mir verbieten, sagt' er, ihre Träume zu besuchen,
ja ihr sehr viele zu leihen? Ist der Schlaf ver¬
nünftiger als ich? O sie könnte im wilden Wahn¬
sinn desselben ja recht gut träumen, daß wir beide
unter dem Wasserfalle ständen, verbunden aufflö¬
gen in ihn, umarmend hinschwämmen auf seinem
flüßigen Feuergolde und zum Sterben herabstürz¬
ten mit ihm und vergöttert still nun weiter flös¬
sen durch die Blumen, in den Strahlen, sie mit
ihrer Welle in meine schimmernd, und wir so uns
in einander verrönnen in das weite hohe blaue rei¬
ne Meer, das sich über die schmutzige Erde deckt?
Ach, wenn du so träumen wolltest, Wina!" --
Dann sah er auf dem Kopfkissen recht hell und
scharf -- weil Nachts in der wilden Zeit des Vor¬
traums vor der Seele alle blasse Bilder junge Le¬
bensfarben annehmen und die Gestalten blitzende
Augen öffnen -- das liebe, milde Auge Wina's
vor sich aufgethan und wie einen Mond, den der
Tag zum Wölkchen verdünnte, am Nachthimmel
herrschend stralen; und er sank in das liebe Auge,
wie ein Frommer in das Auge, unter welchem
man Gott abbildet. Wie leicht und dünn ist ein

mir verbieten, ſagt' er, ihre Traͤume zu beſuchen,
ja ihr ſehr viele zu leihen? Iſt der Schlaf ver¬
nuͤnftiger als ich? O ſie koͤnnte im wilden Wahn¬
ſinn deſſelben ja recht gut traͤumen, daß wir beide
unter dem Waſſerfalle ſtaͤnden, verbunden auffloͤ¬
gen in ihn, umarmend hinſchwaͤmmen auf ſeinem
fluͤßigen Feuergolde und zum Sterben herabſtuͤrz¬
ten mit ihm und vergoͤttert ſtill nun weiter floͤſ¬
ſen durch die Blumen, in den Strahlen, ſie mit
ihrer Welle in meine ſchimmernd, und wir ſo uns
in einander verroͤnnen in das weite hohe blaue rei¬
ne Meer, das ſich uͤber die ſchmutzige Erde deckt?
Ach, wenn du ſo traͤumen wollteſt, Wina!“ —
Dann ſah er auf dem Kopfkiſſen recht hell und
ſcharf — weil Nachts in der wilden Zeit des Vor¬
traums vor der Seele alle blaſſe Bilder junge Le¬
bensfarben annehmen und die Geſtalten blitzende
Augen oͤffnen — das liebe, milde Auge Wina's
vor ſich aufgethan und wie einen Mond, den der
Tag zum Woͤlkchen verduͤnnte, am Nachthimmel
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wie ein Frommer in das Auge, unter welchem
man Gott abbildet. Wie leicht und duͤnn iſt ein

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[11/0017] mir verbieten, ſagt' er, ihre Traͤume zu beſuchen, ja ihr ſehr viele zu leihen? Iſt der Schlaf ver¬ nuͤnftiger als ich? O ſie koͤnnte im wilden Wahn¬ ſinn deſſelben ja recht gut traͤumen, daß wir beide unter dem Waſſerfalle ſtaͤnden, verbunden auffloͤ¬ gen in ihn, umarmend hinſchwaͤmmen auf ſeinem fluͤßigen Feuergolde und zum Sterben herabſtuͤrz¬ ten mit ihm und vergoͤttert ſtill nun weiter floͤſ¬ ſen durch die Blumen, in den Strahlen, ſie mit ihrer Welle in meine ſchimmernd, und wir ſo uns in einander verroͤnnen in das weite hohe blaue rei¬ ne Meer, das ſich uͤber die ſchmutzige Erde deckt? Ach, wenn du ſo traͤumen wollteſt, Wina!“ — Dann ſah er auf dem Kopfkiſſen recht hell und ſcharf — weil Nachts in der wilden Zeit des Vor¬ traums vor der Seele alle blaſſe Bilder junge Le¬ bensfarben annehmen und die Geſtalten blitzende Augen oͤffnen — das liebe, milde Auge Wina's vor ſich aufgethan und wie einen Mond, den der Tag zum Woͤlkchen verduͤnnte, am Nachthimmel herrſchend ſtralen; und er ſank in das liebe Auge, wie ein Frommer in das Auge, unter welchem man Gott abbildet. Wie leicht und duͤnn iſt ein

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/17>, abgerufen am 21.11.2024.