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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

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blos am Herzen," antwortete er, als sie wieder
herfuhr. "Wie herrlich!" sagte sie umwendend,
und glänzte vor Freude.

Vult flog wie eifersüchtig fragend her: hat sie
das Blatt? -- "Sehr hingedeutet hab' ich drei¬
mal, versetzte Walt, aber wie natürlich fährt sie
nicht unweiblich vor mir aus und steht." -- Je¬
ner zog seine Flöte öffentlich vor und sagte laut,
daß der ganze Teich es hörte: "H. Harnisch, Sie
haben vorhin mein Musikblatt eingesteckt? Jetzt
blas' ich." Dieser reichte es (seinem Blicke mehr
als seinem Worte) zu. Wina kam herbei: "kön¬
nen Sie, sagte Vult laut zu ihr, es übergebend,
im Mondschein noch lesen, was ich abspiele?"
Das trauende Mädchen sah ihn lieblich an und
ernsthaft ins Blatt hinein, da er zu flöten anhob.
Am Härchen des Zufalls hing nun der ganze
Neujahrs-Morgen herab, zwar kein Schwerdt,
aber eine blumige Krone. Gleichwohl tobt und
jauchzet der Mensch wechselnd über dasselbe Här¬
chen, blos weil es zur einen Zeit ein Schwerdt,
zur andern ein Diadem über seinem Kopfe hält
und auf diesen fallen läßt.

blos am Herzen,“ antwortete er, als ſie wieder
herfuhr. „Wie herrlich!“ ſagte ſie umwendend,
und glaͤnzte vor Freude.

Vult flog wie eiferſuͤchtig fragend her: hat ſie
das Blatt? — „Sehr hingedeutet hab' ich drei¬
mal, verſetzte Walt, aber wie natuͤrlich faͤhrt ſie
nicht unweiblich vor mir aus und ſteht.“ — Je¬
ner zog ſeine Floͤte oͤffentlich vor und ſagte laut,
daß der ganze Teich es hoͤrte: „H. Harniſch, Sie
haben vorhin mein Muſikblatt eingeſteckt? Jetzt
blaſ' ich.“ Dieſer reichte es (ſeinem Blicke mehr
als ſeinem Worte) zu. Wina kam herbei: „koͤn¬
nen Sie, ſagte Vult laut zu ihr, es uͤbergebend,
im Mondſchein noch leſen, was ich abſpiele?“
Das trauende Maͤdchen ſah ihn lieblich an und
ernſthaft ins Blatt hinein, da er zu floͤten anhob.
Am Haͤrchen des Zufalls hing nun der ganze
Neujahrs-Morgen herab, zwar kein Schwerdt,
aber eine blumige Krone. Gleichwohl tobt und
jauchzet der Menſch wechſelnd uͤber daſſelbe Haͤr¬
chen, blos weil es zur einen Zeit ein Schwerdt,
zur andern ein Diadem uͤber ſeinem Kopfe haͤlt
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[231/0237] blos am Herzen,“ antwortete er, als ſie wieder herfuhr. „Wie herrlich!“ ſagte ſie umwendend, und glaͤnzte vor Freude. Vult flog wie eiferſuͤchtig fragend her: hat ſie das Blatt? — „Sehr hingedeutet hab' ich drei¬ mal, verſetzte Walt, aber wie natuͤrlich faͤhrt ſie nicht unweiblich vor mir aus und ſteht.“ — Je¬ ner zog ſeine Floͤte oͤffentlich vor und ſagte laut, daß der ganze Teich es hoͤrte: „H. Harniſch, Sie haben vorhin mein Muſikblatt eingeſteckt? Jetzt blaſ' ich.“ Dieſer reichte es (ſeinem Blicke mehr als ſeinem Worte) zu. Wina kam herbei: „koͤn¬ nen Sie, ſagte Vult laut zu ihr, es uͤbergebend, im Mondſchein noch leſen, was ich abſpiele?“ Das trauende Maͤdchen ſah ihn lieblich an und ernſthaft ins Blatt hinein, da er zu floͤten anhob. Am Haͤrchen des Zufalls hing nun der ganze Neujahrs-Morgen herab, zwar kein Schwerdt, aber eine blumige Krone. Gleichwohl tobt und jauchzet der Menſch wechſelnd uͤber daſſelbe Haͤr¬ chen, blos weil es zur einen Zeit ein Schwerdt, zur andern ein Diadem uͤber ſeinem Kopfe haͤlt und auf dieſen fallen laͤßt.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/237>, abgerufen am 27.11.2024.