und zwischen der Park-Allee der untergehenden Sonne nachsah -- sie g[l]änzte ganz liebend und warm. -- Der Notarius war ziemlich schwach bei sich; nach seinen stillen Augen zu urtheilen, jubelte er laut, feierte er Bacchanalien, trieb artes semper gaudendi, lieferte Lusttreffen, sprach sich selber die Seligsprechung -- ja er ging so weit, daß er sich zufällig hinein setzte in Wi¬ na's Ecke --
Der Jubel wuchs ganz. Man trank fort -- in jeder halben Viertelstunde machte ein Diener die Thüre auf, um einem zweiten spätern Befehle wegzufangen. Flitte wußte gar nicht, wie er auf einmal zu der Glückseligkeit gelangte, daß man so viel sprach ohne alles Langweilen zum Henker, und daß Raphaela sich so herrlich enthusiasmirte. Zufällig rückte Walt den Fenster-Vorhang und eine Sonne voll warmer Tinten übergoß Raphae¬ lens Gesicht, daß sie es wegkehrte; auf sprang Flitte, wies ihr ihr Sbozzo, fragte, ob es nicht halb aus den schönen Augen gestohlen sei. "Halb? Ganz!" sagte Walt aufrichtig, aber einfältig; denn sie hätte demselben Bildchen eben
und zwiſchen der Park-Allee der untergehenden Sonne nachſah — ſie g[l]aͤnzte ganz liebend und warm. — Der Notarius war ziemlich ſchwach bei ſich; nach ſeinen ſtillen Augen zu urtheilen, jubelte er laut, feierte er Bacchanalien, trieb artes semper gaudendi, lieferte Luſttreffen, ſprach ſich ſelber die Seligſprechung — ja er ging ſo weit, daß er ſich zufaͤllig hinein ſetzte in Wi¬ na's Ecke —
Der Jubel wuchs ganz. Man trank fort — in jeder halben Viertelſtunde machte ein Diener die Thuͤre auf, um einem zweiten ſpaͤtern Befehle wegzufangen. Flitte wußte gar nicht, wie er auf einmal zu der Gluͤckſeligkeit gelangte, daß man ſo viel ſprach ohne alles Langweilen zum Henker, und daß Raphaela ſich ſo herrlich enthuſiaſmirte. Zufaͤllig ruͤckte Walt den Fenſter-Vorhang und eine Sonne voll warmer Tinten uͤbergoß Raphae¬ lens Geſicht, daß ſie es wegkehrte; auf ſprang Flitte, wies ihr ihr Sbozzo, fragte, ob es nicht halb aus den ſchoͤnen Augen geſtohlen ſei. „Halb? Ganz!“ ſagte Walt aufrichtig, aber einfaͤltig; denn ſie haͤtte demſelben Bildchen eben
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und zwiſchen der Park-Allee der untergehenden
Sonne nachſah — ſie glaͤnzte ganz liebend und
warm. — Der Notarius war ziemlich ſchwach
bei ſich; nach ſeinen ſtillen Augen zu urtheilen,
jubelte er laut, feierte er Bacchanalien, trieb
artes semper gaudendi, lieferte Luſttreffen,
ſprach ſich ſelber die Seligſprechung — ja er ging
ſo weit, daß er ſich zufaͤllig hinein ſetzte in Wi¬
na's Ecke —
Der Jubel wuchs ganz. Man trank fort —
in jeder halben Viertelſtunde machte ein Diener
die Thuͤre auf, um einem zweiten ſpaͤtern Befehle
wegzufangen. Flitte wußte gar nicht, wie er auf
einmal zu der Gluͤckſeligkeit gelangte, daß man
ſo viel ſprach ohne alles Langweilen zum Henker,
und daß Raphaela ſich ſo herrlich enthuſiaſmirte.
Zufaͤllig ruͤckte Walt den Fenſter-Vorhang und
eine Sonne voll warmer Tinten uͤbergoß Raphae¬
lens Geſicht, daß ſie es wegkehrte; auf ſprang
Flitte, wies ihr ihr Sbozzo, fragte, ob es
nicht halb aus den ſchoͤnen Augen geſtohlen ſei.
„Halb? Ganz!“ ſagte Walt aufrichtig, aber
einfaͤltig; denn ſie haͤtte demſelben Bildchen eben
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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/73>, abgerufen am 26.11.2024.
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