"Und mit dieser Hoffnung zieh' aus Maienthal, "edle Seele: aber weder Welttheile noch Gräber, "noch die zweite Welt können zwei Menschen zer¬ "trennen oder verbinden; sondern nur Gedanken "scheiden und gatten die Seelen. --
"O dein Leben hänge voll Blüten! Aus dei¬ "nem ersten Paradies müsse ein zweites wie aus ei¬ "ner Rose eine zweite, spriessen! Die Erbe müsse "dir schimmern als ständest du über ihr und sä¬ "hest ihrem Zug im Himmel nach! -- Und wie Mo¬ "ses starb, weil ihn Gott küßte: so sey dein Leben "ein langer Kuß des Ewigen! Und dein Tod sey "meiner. . . . Emanuel.
"O du guter, guter Geist! (rief Viktor) ich kann "dich nun nicht mehr vergessen -- du mußt, du "wirst mein schwaches Herz annehmen!" Von sei¬ nen innern Saiten waren jetzt die Dunsttropfen die ihren Klang aufhielten, abgefallen. Sein Kopf wur¬ de eine helle Esplanade, auf der nichts stand als Emanuels glänzende Natur. Er kam mit einem leuchtenden Mosis Angesicht spät in dem Pfarrhaus an; und in dieser Glut stellte er vor seinen Zu¬ schauern das Bild von Klotilden auf, dem er von ei¬ nem Engel alles ausser dem Flugwerk gab. Flamin
neigte, die also nur die Dornenkrone nahm. Voyage d'un Fran cois. T. VI. p. 303.
»Und mit dieſer Hoffnung zieh' aus Maienthal, »edle Seele: aber weder Welttheile noch Graͤber, »noch die zweite Welt koͤnnen zwei Menſchen zer¬ »trennen oder verbinden; ſondern nur Gedanken »ſcheiden und gatten die Seelen. —
»O dein Leben haͤnge voll Bluͤten! Aus dei¬ »nem erſten Paradies muͤſſe ein zweites wie aus ei¬ »ner Roſe eine zweite, ſprieſſen! Die Erbe muͤſſe »dir ſchimmern als ſtaͤndeſt du uͤber ihr und ſaͤ¬ »heſt ihrem Zug im Himmel nach! — Und wie Mo¬ »ſes ſtarb, weil ihn Gott kuͤßte: ſo ſey dein Leben »ein langer Kuß des Ewigen! Und dein Tod ſey »meiner. . . . Emanuel.
»O du guter, guter Geiſt! (rief Viktor) ich kann »dich nun nicht mehr vergeſſen — du mußt, du »wirſt mein ſchwaches Herz annehmen!» Von ſei¬ nen innern Saiten waren jetzt die Dunſttropfen die ihren Klang aufhielten, abgefallen. Sein Kopf wur¬ de eine helle Eſplanade, auf der nichts ſtand als Emanuels glaͤnzende Natur. Er kam mit einem leuchtenden Moſis Angeſicht ſpaͤt in dem Pfarrhaus an; und in dieſer Glut ſtellte er vor ſeinen Zu¬ ſchauern das Bild von Klotilden auf, dem er von ei¬ nem Engel alles auſſer dem Flugwerk gab. Flamin
neigte, die also nur die Dornenkrone nahm. Voyage d'un Fran çois. T. VI. p. 303.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0112"n="101"/><p>»Und mit dieſer Hoffnung zieh' aus Maienthal,<lb/>
»edle Seele: aber weder Welttheile noch Graͤber,<lb/>
»noch die zweite Welt koͤnnen zwei Menſchen zer¬<lb/>
»trennen oder verbinden; ſondern nur Gedanken<lb/>
»ſcheiden und gatten die Seelen. —</p><lb/><p><choice><sic>«</sic><corr>»</corr></choice>O dein Leben haͤnge voll Bluͤten! Aus dei¬<lb/>
»nem erſten Paradies muͤſſe ein zweites wie aus ei¬<lb/>
»ner Roſe eine zweite, ſprieſſen! Die Erbe muͤſſe<lb/>
»dir ſchimmern als ſtaͤndeſt du uͤber ihr und ſaͤ¬<lb/>
»heſt ihrem Zug im Himmel nach! — Und wie Mo¬<lb/>
»ſes ſtarb, weil ihn Gott kuͤßte: ſo ſey dein Leben<lb/>
»ein langer Kuß des Ewigen! Und dein Tod ſey<lb/>
»meiner. . . . Emanuel.</p><lb/><p>»O du guter, guter Geiſt! (rief Viktor) ich kann<lb/>
»dich nun nicht mehr vergeſſen — du mußt, du<lb/>
»wirſt mein ſchwaches Herz annehmen!» Von ſei¬<lb/>
nen innern Saiten waren jetzt die Dunſttropfen die<lb/>
ihren Klang aufhielten, abgefallen. Sein Kopf wur¬<lb/>
de eine helle Eſplanade, auf der nichts ſtand als<lb/>
Emanuels glaͤnzende Natur. Er kam mit einem<lb/>
leuchtenden Moſis Angeſicht ſpaͤt in dem Pfarrhaus<lb/>
an; und in dieſer Glut ſtellte er vor ſeinen Zu¬<lb/>ſchauern das Bild von Klotilden auf, dem er von ei¬<lb/>
nem Engel alles auſſer dem Flugwerk gab. Flamin<lb/><notexml:id="f112"prev="#f111"place="foot"n="*)">neigte<choice><sic>.</sic><corr>,</corr></choice> die also nur die Dornenkrone nahm. <hirendition="#aq"><choice><sic>Voyge</sic><corr>Voyage</corr></choice> d'un<lb/>
Fran çois. T. VI. p. 303.</hi></note></p></div></body></text></TEI>
[101/0112]
»Und mit dieſer Hoffnung zieh' aus Maienthal,
»edle Seele: aber weder Welttheile noch Graͤber,
»noch die zweite Welt koͤnnen zwei Menſchen zer¬
»trennen oder verbinden; ſondern nur Gedanken
»ſcheiden und gatten die Seelen. —
»O dein Leben haͤnge voll Bluͤten! Aus dei¬
»nem erſten Paradies muͤſſe ein zweites wie aus ei¬
»ner Roſe eine zweite, ſprieſſen! Die Erbe muͤſſe
»dir ſchimmern als ſtaͤndeſt du uͤber ihr und ſaͤ¬
»heſt ihrem Zug im Himmel nach! — Und wie Mo¬
»ſes ſtarb, weil ihn Gott kuͤßte: ſo ſey dein Leben
»ein langer Kuß des Ewigen! Und dein Tod ſey
»meiner. . . . Emanuel.
»O du guter, guter Geiſt! (rief Viktor) ich kann
»dich nun nicht mehr vergeſſen — du mußt, du
»wirſt mein ſchwaches Herz annehmen!» Von ſei¬
nen innern Saiten waren jetzt die Dunſttropfen die
ihren Klang aufhielten, abgefallen. Sein Kopf wur¬
de eine helle Eſplanade, auf der nichts ſtand als
Emanuels glaͤnzende Natur. Er kam mit einem
leuchtenden Moſis Angeſicht ſpaͤt in dem Pfarrhaus
an; und in dieſer Glut ſtellte er vor ſeinen Zu¬
ſchauern das Bild von Klotilden auf, dem er von ei¬
nem Engel alles auſſer dem Flugwerk gab. Flamin
*)
*) neigte, die also nur die Dornenkrone nahm. Voyage d'un
Fran çois. T. VI. p. 303.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/112>, abgerufen am 17.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.