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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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mit seinem Recht verwechselte. Viktor hatte ein
geräumiges Herz für die unähnlichsten Gefühle.

Ich kann es nicht oft genug wiederholen, daß
heute der Kirchgang ist: ich will ihn der Nachwelt
abzeichnen, aber nicht mit jener Kürze womit ein
Zeitungsskribent den Leichenzug eines Königs auf drei
Bogen bringt, sondern ein wenig umständlicher. Zu
den pomphaften Initialbuchstaben dieses Tages hatte
das Pfarrhaus ganz andre Gründe in petto als man
meines Wissens unserem Zeitalter noch zu entdecken
beliebte: betrügen wollten drei Interessenten einan¬
der, allemal zwei einen.

Betrügen wollte erstlich die Pfarrfrau den Hel¬
den, der nicht wuste, daß heute der Geburtstag sei¬
nes Vaters war und daß dieser -- freimüthig von
ihr eingeladen -- heute auf fünf Minuten komme.
Sie ließ am Morgen ihre zwei Töchter Garn sieden,
damit sie dem Viktor -- nichts beichteten, wenig¬
stens keine Wahrheit: denn es ist ein bekannter
Aberglaube, daß das Garn am weißesten gesotten
werde, wenn man dabei recht lügt. Daher sollte
man auch, wenn die Weiber lügen, behutsamer seyn
und fragen, ob sie mit ihren poetischen Illusionen
etwas anders weißbrennen wollen als ihr Garn.
Ihr geliebter Viktor sollte -- das war ihr Plan --
ihrem Mann, dessen Geburtsfest heute auch einfiel,
den gewöhnlichen Glückswunsch bringen und ihn

mit ſeinem Recht verwechſelte. Viktor hatte ein
geraͤumiges Herz fuͤr die unaͤhnlichſten Gefuͤhle.

Ich kann es nicht oft genug wiederholen, daß
heute der Kirchgang iſt: ich will ihn der Nachwelt
abzeichnen, aber nicht mit jener Kuͤrze womit ein
Zeitungsſkribent den Leichenzug eines Koͤnigs auf drei
Bogen bringt, ſondern ein wenig umſtaͤndlicher. Zu
den pomphaften Initialbuchſtaben dieſes Tages hatte
das Pfarrhaus ganz andre Gruͤnde in petto als man
meines Wiſſens unſerem Zeitalter noch zu entdecken
beliebte: betruͤgen wollten drei Intereſſenten einan¬
der, allemal zwei einen.

Betruͤgen wollte erſtlich die Pfarrfrau den Hel¬
den, der nicht wuſte, daß heute der Geburtstag ſei¬
nes Vaters war und daß dieſer — freimuͤthig von
ihr eingeladen — heute auf fuͤnf Minuten komme.
Sie ließ am Morgen ihre zwei Toͤchter Garn ſieden,
damit ſie dem Viktor — nichts beichteten, wenig¬
ſtens keine Wahrheit: denn es iſt ein bekannter
Aberglaube, daß das Garn am weißeſten geſotten
werde, wenn man dabei recht luͤgt. Daher ſollte
man auch, wenn die Weiber luͤgen, behutſamer ſeyn
und fragen, ob ſie mit ihren poetiſchen Illuſionen
etwas anders weißbrennen wollen als ihr Garn.
Ihr geliebter Viktor ſollte — das war ihr Plan —
ihrem Mann, deſſen Geburtsfeſt heute auch einfiel,
den gewoͤhnlichen Gluͤckswunſch bringen und ihn

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[114/0125] mit ſeinem Recht verwechſelte. Viktor hatte ein geraͤumiges Herz fuͤr die unaͤhnlichſten Gefuͤhle. Ich kann es nicht oft genug wiederholen, daß heute der Kirchgang iſt: ich will ihn der Nachwelt abzeichnen, aber nicht mit jener Kuͤrze womit ein Zeitungsſkribent den Leichenzug eines Koͤnigs auf drei Bogen bringt, ſondern ein wenig umſtaͤndlicher. Zu den pomphaften Initialbuchſtaben dieſes Tages hatte das Pfarrhaus ganz andre Gruͤnde in petto als man meines Wiſſens unſerem Zeitalter noch zu entdecken beliebte: betruͤgen wollten drei Intereſſenten einan¬ der, allemal zwei einen. Betruͤgen wollte erſtlich die Pfarrfrau den Hel¬ den, der nicht wuſte, daß heute der Geburtstag ſei¬ nes Vaters war und daß dieſer — freimuͤthig von ihr eingeladen — heute auf fuͤnf Minuten komme. Sie ließ am Morgen ihre zwei Toͤchter Garn ſieden, damit ſie dem Viktor — nichts beichteten, wenig¬ ſtens keine Wahrheit: denn es iſt ein bekannter Aberglaube, daß das Garn am weißeſten geſotten werde, wenn man dabei recht luͤgt. Daher ſollte man auch, wenn die Weiber luͤgen, behutſamer ſeyn und fragen, ob ſie mit ihren poetiſchen Illuſionen etwas anders weißbrennen wollen als ihr Garn. Ihr geliebter Viktor ſollte — das war ihr Plan — ihrem Mann, deſſen Geburtsfeſt heute auch einfiel, den gewoͤhnlichen Gluͤckswunſch bringen und ihn

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/125>, abgerufen am 17.05.2024.