"alles unendlich und nichts klein als dein Herz -- "ach in jener warmen erquickenden Zeit, wo der "Vater uns noch Gott der Vater und die Mutter "die Mutter Gottes ist, drückte sich noch die von "Geistern, Gräbern und Stürmen beklemmte Brust "getröstet an eine menschliche -- alle vier Welttheile "waren in diese Kirche eingepfarret, alle Ströme "hießen Rhein und alle Reichsstände Jenner -- "ach diesen schönen stillen Tag faste ein goldner Ho¬ "rizont der unendlichen Hofnung ein und ein Ring "aus Morgenroth. -- Jetzt ist der Tag dahin und "der Horizont hinab und bloß das Gerippe noch da, "der Gitterstuhl."
Ach wenn wir schon jetzt in den Mittagsstunden des Lebens so denken und seufzen: wie wird uns nicht am Abend, wo der Mensch seine Blumenblät¬ ter zusammenlegt und unkenntlich wird wie andre Blumen, am Abend, wo wir unten am Horizont in Westen stehen und auslöschen, wird uns da nicht, wenn wir uns umwenden und den kurzen mit ertre¬ tenen Hofnungen bedeckten Weg überschauen, wird dann uns der Garten der Kindheit, der in Osten, tief an unserem Aufgange, und noch unter einem al¬ ten blassen Rothe liegt, nicht noch holder anblicken, noch magischer anschimmern, aber auch noch weicher machen? -- Und darauf legt sich der Mensch nicht
»alles unendlich und nichts klein als dein Herz — »ach in jener warmen erquickenden Zeit, wo der »Vater uns noch Gott der Vater und die Mutter »die Mutter Gottes iſt, druͤckte ſich noch die von »Geiſtern, Graͤbern und Stuͤrmen beklemmte Bruſt »getroͤſtet an eine menſchliche — alle vier Welttheile »waren in dieſe Kirche eingepfarret, alle Stroͤme »hießen Rhein und alle Reichsſtaͤnde Jenner — »ach dieſen ſchoͤnen ſtillen Tag faſte ein goldner Ho¬ »rizont der unendlichen Hofnung ein und ein Ring »aus Morgenroth. — Jetzt iſt der Tag dahin und »der Horizont hinab und bloß das Gerippe noch da, »der Gitterſtuhl.«
Ach wenn wir ſchon jetzt in den Mittagsſtunden des Lebens ſo denken und ſeufzen: wie wird uns nicht am Abend, wo der Menſch ſeine Blumenblaͤt¬ ter zuſammenlegt und unkenntlich wird wie andre Blumen, am Abend, wo wir unten am Horizont in Weſten ſtehen und ausloͤſchen, wird uns da nicht, wenn wir uns umwenden und den kurzen mit ertre¬ tenen Hofnungen bedeckten Weg uͤberſchauen, wird dann uns der Garten der Kindheit, der in Oſten, tief an unſerem Aufgange, und noch unter einem al¬ ten blaſſen Rothe liegt, nicht noch holder anblicken, noch magiſcher anſchimmern, aber auch noch weicher machen? — Und darauf legt ſich der Menſch nicht
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0134"n="123"/>
»alles unendlich und nichts klein als dein Herz —<lb/>
»ach in jener warmen erquickenden Zeit, wo der<lb/>
»Vater uns noch Gott der Vater und die Mutter<lb/>
»die Mutter Gottes iſt, druͤckte ſich noch die von<lb/>
»Geiſtern, Graͤbern und Stuͤrmen beklemmte Bruſt<lb/>
»getroͤſtet an eine menſchliche — alle vier Welttheile<lb/>
»waren in dieſe Kirche eingepfarret, alle Stroͤme<lb/>
»hießen Rhein und alle Reichsſtaͤnde <hirendition="#g">Jenner</hi>—<lb/>
»ach dieſen ſchoͤnen ſtillen Tag faſte ein goldner Ho¬<lb/>
»rizont der unendlichen Hofnung ein und ein Ring<lb/>
»aus Morgenroth. — Jetzt iſt der Tag dahin und<lb/>
»der Horizont hinab und bloß das Gerippe noch da,<lb/>
»der Gitterſtuhl.«</p><lb/><p>Ach wenn wir ſchon jetzt in den Mittagsſtunden<lb/>
des Lebens ſo denken und ſeufzen: wie wird uns<lb/>
nicht am Abend, wo der Menſch ſeine Blumenblaͤt¬<lb/>
ter zuſammenlegt und unkenntlich wird wie andre<lb/>
Blumen, am Abend, wo wir unten am Horizont in<lb/>
Weſten ſtehen und ausloͤſchen, wird uns da nicht,<lb/>
wenn wir uns umwenden und den kurzen mit ertre¬<lb/>
tenen Hofnungen bedeckten Weg uͤberſchauen, wird<lb/>
dann uns der Garten der Kindheit, der in Oſten,<lb/>
tief an unſerem Aufgange, und noch unter einem al¬<lb/>
ten blaſſen Rothe liegt, nicht noch holder anblicken,<lb/>
noch magiſcher anſchimmern, aber auch noch weicher<lb/>
machen? — Und darauf legt ſich der Menſch nicht<lb/></p></div></body></text></TEI>
[123/0134]
»alles unendlich und nichts klein als dein Herz —
»ach in jener warmen erquickenden Zeit, wo der
»Vater uns noch Gott der Vater und die Mutter
»die Mutter Gottes iſt, druͤckte ſich noch die von
»Geiſtern, Graͤbern und Stuͤrmen beklemmte Bruſt
»getroͤſtet an eine menſchliche — alle vier Welttheile
»waren in dieſe Kirche eingepfarret, alle Stroͤme
»hießen Rhein und alle Reichsſtaͤnde Jenner —
»ach dieſen ſchoͤnen ſtillen Tag faſte ein goldner Ho¬
»rizont der unendlichen Hofnung ein und ein Ring
»aus Morgenroth. — Jetzt iſt der Tag dahin und
»der Horizont hinab und bloß das Gerippe noch da,
»der Gitterſtuhl.«
Ach wenn wir ſchon jetzt in den Mittagsſtunden
des Lebens ſo denken und ſeufzen: wie wird uns
nicht am Abend, wo der Menſch ſeine Blumenblaͤt¬
ter zuſammenlegt und unkenntlich wird wie andre
Blumen, am Abend, wo wir unten am Horizont in
Weſten ſtehen und ausloͤſchen, wird uns da nicht,
wenn wir uns umwenden und den kurzen mit ertre¬
tenen Hofnungen bedeckten Weg uͤberſchauen, wird
dann uns der Garten der Kindheit, der in Oſten,
tief an unſerem Aufgange, und noch unter einem al¬
ten blaſſen Rothe liegt, nicht noch holder anblicken,
noch magiſcher anſchimmern, aber auch noch weicher
machen? — Und darauf legt ſich der Menſch nicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/134>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.