decken: rief er der armen vergessenen Apollonia, die an der Hausthür den erwachten Bastian schwenkte, überlaut zu, herzukommen. Aber diese Arme, deren entfernte freudige Theilnahme an der allgemeinen Annäherung unsern Viktor im Innersten rührte, zö¬ gerte noch bis die Mutter kam und sie schadlos hielt durch alles, was den Müttern nie vergolten wird. Aber erst als die Pfarrerin ihr Kind in ihren Ar¬ men und an ihren Lippen hatte, fühlte sie, daß die gefangnen Flammen ihrer Gefühle ihre Oefnung fan¬ den und ihr Herz seine Erleichterung. -- --
Ach! daß der Mensch gerade zu der Zeit die schönste Liebe empfängt, wo er sie noch nicht ver¬ steht -- ach daß er erst spät im Lebensjahre, wenn er seufzend einer fremden Eltern- und Kinderliebe zusieht, hoffend so zu sich sagt: "ach meine haben mich gewiß auch so geliebt" -- ach daß alsdann der Bu¬ sen, zu dem du mit dem Danke für ein halbes Le¬ ben, für tausend verkannte Sorgen, für eine unaus¬ sprechliche nie wiederkehrende Liebe eilen willst, schon zerdrückt liegt unter einem alten Grabe und das warme Herz verloren hat, das dich so lange ge¬ liebt! . . .
In der häuslichen Glückseligkeit sind die wind¬ stillen, zwischen vier engen Wänden vorgetriebnen bequemen Freuden nur der zufälligste Bestandtheil und nur das Adjuvans: ihre Basis sind die lodern¬
den
decken: rief er der armen vergeſſenen Apollonia, die an der Hausthuͤr den erwachten Baſtian ſchwenkte, uͤberlaut zu, herzukommen. Aber dieſe Arme, deren entfernte freudige Theilnahme an der allgemeinen Annaͤherung unſern Viktor im Innerſten ruͤhrte, zoͤ¬ gerte noch bis die Mutter kam und ſie ſchadlos hielt durch alles, was den Muͤttern nie vergolten wird. Aber erſt als die Pfarrerin ihr Kind in ihren Ar¬ men und an ihren Lippen hatte, fuͤhlte ſie, daß die gefangnen Flammen ihrer Gefuͤhle ihre Oefnung fan¬ den und ihr Herz ſeine Erleichterung. — —
Ach! daß der Menſch gerade zu der Zeit die ſchoͤnſte Liebe empfaͤngt, wo er ſie noch nicht ver¬ ſteht — ach daß er erſt ſpaͤt im Lebensjahre, wenn er ſeufzend einer fremden Eltern- und Kinderliebe zuſieht, hoffend ſo zu ſich ſagt: »ach meine haben mich gewiß auch ſo geliebt« — ach daß alsdann der Bu¬ ſen, zu dem du mit dem Danke fuͤr ein halbes Le¬ ben, fuͤr tauſend verkannte Sorgen, fuͤr eine unaus¬ ſprechliche nie wiederkehrende Liebe eilen willſt, ſchon zerdruͤckt liegt unter einem alten Grabe und das warme Herz verloren hat, das dich ſo lange ge¬ liebt! . . .
In der haͤuslichen Gluͤckſeligkeit ſind die wind¬ ſtillen, zwiſchen vier engen Waͤnden vorgetriebnen bequemen Freuden nur der zufaͤlligſte Beſtandtheil und nur das Adjuvans: ihre Baſis ſind die lodern¬
den
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0155"n="144"/>
decken: rief er der armen vergeſſenen Apollonia, die<lb/>
an der Hausthuͤr den erwachten Baſtian ſchwenkte,<lb/>
uͤberlaut zu, herzukommen. Aber dieſe Arme, deren<lb/>
entfernte freudige Theilnahme an der allgemeinen<lb/>
Annaͤherung unſern Viktor im Innerſten ruͤhrte, zoͤ¬<lb/>
gerte noch bis die Mutter kam und ſie ſchadlos hielt<lb/>
durch alles, was den Muͤttern nie vergolten wird.<lb/>
Aber erſt als die Pfarrerin ihr Kind in ihren Ar¬<lb/>
men und an ihren Lippen hatte, fuͤhlte ſie, daß die<lb/>
gefangnen Flammen ihrer Gefuͤhle ihre Oefnung fan¬<lb/>
den und ihr Herz ſeine Erleichterung. ——</p><lb/><p>Ach! daß der Menſch gerade zu der Zeit die<lb/>ſchoͤnſte Liebe empfaͤngt, wo er ſie noch nicht ver¬<lb/>ſteht — ach daß er erſt ſpaͤt im Lebensjahre, wenn<lb/>
er ſeufzend einer fremden Eltern- und Kinderliebe<lb/>
zuſieht, hoffend ſo zu ſich ſagt: »ach meine haben mich<lb/>
gewiß auch ſo geliebt« — ach daß alsdann der Bu¬<lb/>ſen, zu dem du mit dem Danke fuͤr ein halbes Le¬<lb/>
ben, fuͤr tauſend verkannte Sorgen, fuͤr eine unaus¬<lb/>ſprechliche nie wiederkehrende Liebe eilen willſt, ſchon<lb/>
zerdruͤckt liegt unter einem alten Grabe und das<lb/>
warme Herz verloren hat, das dich ſo lange ge¬<lb/>
liebt! . . .</p><lb/><p>In der haͤuslichen Gluͤckſeligkeit ſind die wind¬<lb/>ſtillen, zwiſchen vier engen Waͤnden vorgetriebnen<lb/>
bequemen Freuden nur der zufaͤlligſte Beſtandtheil<lb/>
und nur das Adjuvans: ihre Baſis ſind die lodern¬<lb/><fwplace="bottom"type="catch">den<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[144/0155]
decken: rief er der armen vergeſſenen Apollonia, die
an der Hausthuͤr den erwachten Baſtian ſchwenkte,
uͤberlaut zu, herzukommen. Aber dieſe Arme, deren
entfernte freudige Theilnahme an der allgemeinen
Annaͤherung unſern Viktor im Innerſten ruͤhrte, zoͤ¬
gerte noch bis die Mutter kam und ſie ſchadlos hielt
durch alles, was den Muͤttern nie vergolten wird.
Aber erſt als die Pfarrerin ihr Kind in ihren Ar¬
men und an ihren Lippen hatte, fuͤhlte ſie, daß die
gefangnen Flammen ihrer Gefuͤhle ihre Oefnung fan¬
den und ihr Herz ſeine Erleichterung. — —
Ach! daß der Menſch gerade zu der Zeit die
ſchoͤnſte Liebe empfaͤngt, wo er ſie noch nicht ver¬
ſteht — ach daß er erſt ſpaͤt im Lebensjahre, wenn
er ſeufzend einer fremden Eltern- und Kinderliebe
zuſieht, hoffend ſo zu ſich ſagt: »ach meine haben mich
gewiß auch ſo geliebt« — ach daß alsdann der Bu¬
ſen, zu dem du mit dem Danke fuͤr ein halbes Le¬
ben, fuͤr tauſend verkannte Sorgen, fuͤr eine unaus¬
ſprechliche nie wiederkehrende Liebe eilen willſt, ſchon
zerdruͤckt liegt unter einem alten Grabe und das
warme Herz verloren hat, das dich ſo lange ge¬
liebt! . . .
In der haͤuslichen Gluͤckſeligkeit ſind die wind¬
ſtillen, zwiſchen vier engen Waͤnden vorgetriebnen
bequemen Freuden nur der zufaͤlligſte Beſtandtheil
und nur das Adjuvans: ihre Baſis ſind die lodern¬
den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/155>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.