Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

heit, welche befürchtete, drinnen auf Kosten der an¬
dern Gäste, des Lords wegen, fetirt zu werden.
Sein eignes Alleinseyn -- vielleicht in einem schmerz¬
lichen Sinn -- mahlte ihm die blöde Appel vor, die
als Heerd-Vestalin erst von zurückgehenden Speisen
den Rückzoll aß, blos um zu versuchen, wie es an¬
dern
geschmeckt. Er konnte den Gedanken dieser
Abtrennung nicht länger erdulden, sondern nahm
Wein und das Beste vom Desert und trug es ihr
in ihr Küchen-Winterquartier hinein. Da er dabei
auf seinem Gesicht statt seiner Munterkeit gegen
Mädgen, von der sie eine zu demüthige Auslegung
hätte machen können, den größten höflichen Ernst aus¬
gespannt hatte: so war er so glücklich, einer von der
Natur selber zusammengedrückten Seele -- die hier
in keinem andern Blumentopf ihre Wurzeln herum¬
treibt als in einem Kochtopf und deren Konzertsaal
in der Küche und deren Sphärenmusik im Braten¬
wender ist -- einen goldnen Abend gegeben zu ha¬
ben und ein gelüftetes Herz und eine frohe lange
Erinnerung. Kein Boshafter werfe einer solchen
guten Schneckenseele seine Faust in den Weg und
lache dazu, wie sie sich hinüberquält -- und der
Aufgerichtete bücke sich gern und hebe sie sanft über
ihre Steingen weg. . . .

Klotilden anlangend, so gings vor dem Essen
recht gut; aber nachher recht schlecht. Ich rede von

heit, welche befuͤrchtete, drinnen auf Koſten der an¬
dern Gaͤſte, des Lords wegen, fetirt zu werden.
Sein eignes Alleinſeyn — vielleicht in einem ſchmerz¬
lichen Sinn — mahlte ihm die bloͤde Appel vor, die
als Heerd-Veſtalin erſt von zuruͤckgehenden Speiſen
den Ruͤckzoll aß, blos um zu verſuchen, wie es an¬
dern
geſchmeckt. Er konnte den Gedanken dieſer
Abtrennung nicht laͤnger erdulden, ſondern nahm
Wein und das Beſte vom Deſert und trug es ihr
in ihr Kuͤchen-Winterquartier hinein. Da er dabei
auf ſeinem Geſicht ſtatt ſeiner Munterkeit gegen
Maͤdgen, von der ſie eine zu demuͤthige Auslegung
haͤtte machen koͤnnen, den groͤßten hoͤflichen Ernſt aus¬
geſpannt hatte: ſo war er ſo gluͤcklich, einer von der
Natur ſelber zuſammengedruͤckten Seele — die hier
in keinem andern Blumentopf ihre Wurzeln herum¬
treibt als in einem Kochtopf und deren Konzertſaal
in der Kuͤche und deren Sphaͤrenmuſik im Braten¬
wender iſt — einen goldnen Abend gegeben zu ha¬
ben und ein geluͤftetes Herz und eine frohe lange
Erinnerung. Kein Boshafter werfe einer ſolchen
guten Schneckenſeele ſeine Fauſt in den Weg und
lache dazu, wie ſie ſich hinuͤberquaͤlt — und der
Aufgerichtete buͤcke ſich gern und hebe ſie ſanft uͤber
ihre Steingen weg. . . .

Klotilden anlangend, ſo gings vor dem Eſſen
recht gut; aber nachher recht ſchlecht. Ich rede von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0157" n="146"/>
heit, welche befu&#x0364;rchtete, drinnen auf Ko&#x017F;ten der an¬<lb/>
dern Ga&#x0364;&#x017F;te, des Lords wegen, fetirt zu werden.<lb/>
Sein eignes Allein&#x017F;eyn &#x2014; vielleicht in einem &#x017F;chmerz¬<lb/>
lichen Sinn &#x2014; mahlte ihm die blo&#x0364;de Appel vor, die<lb/>
als Heerd-Ve&#x017F;talin er&#x017F;t von zuru&#x0364;ckgehenden Spei&#x017F;en<lb/>
den Ru&#x0364;ckzoll aß, blos um zu ver&#x017F;uchen, wie es <hi rendition="#g">an¬<lb/>
dern</hi> ge&#x017F;chmeckt. Er konnte den Gedanken die&#x017F;er<lb/>
Abtrennung nicht la&#x0364;nger erdulden, &#x017F;ondern nahm<lb/>
Wein und das Be&#x017F;te vom De&#x017F;ert und trug es ihr<lb/>
in ihr Ku&#x0364;chen-Winterquartier hinein. Da er dabei<lb/>
auf &#x017F;einem Ge&#x017F;icht &#x017F;tatt &#x017F;einer Munterkeit gegen<lb/>
Ma&#x0364;dgen, von der &#x017F;ie eine zu demu&#x0364;thige Auslegung<lb/>
ha&#x0364;tte machen ko&#x0364;nnen, den gro&#x0364;ßten ho&#x0364;flichen Ern&#x017F;t aus¬<lb/>
ge&#x017F;pannt hatte: &#x017F;o war er &#x017F;o glu&#x0364;cklich, einer von der<lb/>
Natur &#x017F;elber zu&#x017F;ammengedru&#x0364;ckten Seele &#x2014; die hier<lb/>
in keinem andern Blumentopf ihre Wurzeln herum¬<lb/>
treibt als in einem Kochtopf und deren Konzert&#x017F;aal<lb/>
in der Ku&#x0364;che und deren Spha&#x0364;renmu&#x017F;ik im Braten¬<lb/>
wender i&#x017F;t &#x2014; einen goldnen Abend gegeben zu ha¬<lb/>
ben und ein <hi rendition="#g">gelu&#x0364;ftetes</hi> Herz und eine frohe lange<lb/>
Erinnerung. Kein Boshafter werfe einer &#x017F;olchen<lb/>
guten Schnecken&#x017F;eele &#x017F;eine Fau&#x017F;t in den Weg und<lb/>
lache dazu, wie &#x017F;ie &#x017F;ich hinu&#x0364;berqua&#x0364;lt &#x2014; und der<lb/>
Aufgerichtete bu&#x0364;cke &#x017F;ich gern und hebe &#x017F;ie &#x017F;anft u&#x0364;ber<lb/>
ihre Steingen weg. . . .</p><lb/>
        <p>Klotilden anlangend, &#x017F;o gings vor dem E&#x017F;&#x017F;en<lb/>
recht gut; aber nachher recht &#x017F;chlecht. Ich rede von<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0157] heit, welche befuͤrchtete, drinnen auf Koſten der an¬ dern Gaͤſte, des Lords wegen, fetirt zu werden. Sein eignes Alleinſeyn — vielleicht in einem ſchmerz¬ lichen Sinn — mahlte ihm die bloͤde Appel vor, die als Heerd-Veſtalin erſt von zuruͤckgehenden Speiſen den Ruͤckzoll aß, blos um zu verſuchen, wie es an¬ dern geſchmeckt. Er konnte den Gedanken dieſer Abtrennung nicht laͤnger erdulden, ſondern nahm Wein und das Beſte vom Deſert und trug es ihr in ihr Kuͤchen-Winterquartier hinein. Da er dabei auf ſeinem Geſicht ſtatt ſeiner Munterkeit gegen Maͤdgen, von der ſie eine zu demuͤthige Auslegung haͤtte machen koͤnnen, den groͤßten hoͤflichen Ernſt aus¬ geſpannt hatte: ſo war er ſo gluͤcklich, einer von der Natur ſelber zuſammengedruͤckten Seele — die hier in keinem andern Blumentopf ihre Wurzeln herum¬ treibt als in einem Kochtopf und deren Konzertſaal in der Kuͤche und deren Sphaͤrenmuſik im Braten¬ wender iſt — einen goldnen Abend gegeben zu ha¬ ben und ein geluͤftetes Herz und eine frohe lange Erinnerung. Kein Boshafter werfe einer ſolchen guten Schneckenſeele ſeine Fauſt in den Weg und lache dazu, wie ſie ſich hinuͤberquaͤlt — und der Aufgerichtete buͤcke ſich gern und hebe ſie ſanft uͤber ihre Steingen weg. . . . Klotilden anlangend, ſo gings vor dem Eſſen recht gut; aber nachher recht ſchlecht. Ich rede von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/157
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/157>, abgerufen am 23.11.2024.