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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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schen. In die Wolken floß das Abend-Blut der
versinkenden Sonne wie ins Meer das Blut seiner
in der Tiefe sterbenden Riesen. Das lockere Gewölk
langte nicht zu, den Himmel zu decken; es schwamm
um den Mond herum und ließ sein bleiches Silber
aus den Schlacken blicken.

Das rothe Gewölk schminkte den Säugling. Je¬
der fassete leise seine weichen Hände, die schon aus
der Kissen-Knospe und Wickelbänder-Verpuppung
brachen. Klotilde -- anstatt an den Kleinen körper¬
perliche kokette Liebkosungen zu verschwenden, wie
manche Mädgen vor oder für Mannspersonen thun
-- goß einen-fortströmenden Blick voll herzlicher
Liebe auf den neuen Menschen nieder, band seine
schneidenden Hemd-Aermel auf, verbauete ihm den
angeschielten Mond und sagte spielend: "lächle her
"und liebe mich, Sebastian!" Sie konnte unmög¬
lich metaphorische Rikoschet-Schüsse in diese Zeile
laden; auch wußte der große uneingewickelte Seba¬
stian recht gut, daß sie keinen Doppelsinn vorausge¬
sehen; ja er kannte die Regel, daß man aus der
Aengstlichkeit, womit einige gewisse Gedanken aus
ihrem Sprechen bannen, die Gegenwart derselben in
ihrem Kopfe errathe. -- Gleichwohl hatt' er doch
nicht den Muth, zu lächeln wie die andern oder das
von ihr berührte Händgen in seines zu nehmen.
Sie kehrte sich zu ihm und sagte: "aber wie lernt

ſchen. In die Wolken floß das Abend-Blut der
verſinkenden Sonne wie ins Meer das Blut ſeiner
in der Tiefe ſterbenden Rieſen. Das lockere Gewoͤlk
langte nicht zu, den Himmel zu decken; es ſchwamm
um den Mond herum und ließ ſein bleiches Silber
aus den Schlacken blicken.

Das rothe Gewoͤlk ſchminkte den Saͤugling. Je¬
der faſſete leiſe ſeine weichen Haͤnde, die ſchon aus
der Kiſſen-Knoſpe und Wickelbaͤnder-Verpuppung
brachen. Klotilde — anſtatt an den Kleinen koͤrper¬
perliche kokette Liebkoſungen zu verſchwenden, wie
manche Maͤdgen vor oder fuͤr Mannsperſonen thun
— goß einen-fortſtroͤmenden Blick voll herzlicher
Liebe auf den neuen Menſchen nieder, band ſeine
ſchneidenden Hemd-Aermel auf, verbauete ihm den
angeſchielten Mond und ſagte ſpielend: »laͤchle her
»und liebe mich, Sebaſtian!« Sie konnte unmoͤg¬
lich metaphoriſche Rikoſchet-Schuͤſſe in dieſe Zeile
laden; auch wußte der große uneingewickelte Seba¬
ſtian recht gut, daß ſie keinen Doppelſinn vorausge¬
ſehen; ja er kannte die Regel, daß man aus der
Aengſtlichkeit, womit einige gewiſſe Gedanken aus
ihrem Sprechen bannen, die Gegenwart derſelben in
ihrem Kopfe errathe. — Gleichwohl hatt' er doch
nicht den Muth, zu laͤcheln wie die andern oder das
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Sie kehrte ſich zu ihm und ſagte: »aber wie lernt

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[149/0160] ſchen. In die Wolken floß das Abend-Blut der verſinkenden Sonne wie ins Meer das Blut ſeiner in der Tiefe ſterbenden Rieſen. Das lockere Gewoͤlk langte nicht zu, den Himmel zu decken; es ſchwamm um den Mond herum und ließ ſein bleiches Silber aus den Schlacken blicken. Das rothe Gewoͤlk ſchminkte den Saͤugling. Je¬ der faſſete leiſe ſeine weichen Haͤnde, die ſchon aus der Kiſſen-Knoſpe und Wickelbaͤnder-Verpuppung brachen. Klotilde — anſtatt an den Kleinen koͤrper¬ perliche kokette Liebkoſungen zu verſchwenden, wie manche Maͤdgen vor oder fuͤr Mannsperſonen thun — goß einen-fortſtroͤmenden Blick voll herzlicher Liebe auf den neuen Menſchen nieder, band ſeine ſchneidenden Hemd-Aermel auf, verbauete ihm den angeſchielten Mond und ſagte ſpielend: »laͤchle her »und liebe mich, Sebaſtian!« Sie konnte unmoͤg¬ lich metaphoriſche Rikoſchet-Schuͤſſe in dieſe Zeile laden; auch wußte der große uneingewickelte Seba¬ ſtian recht gut, daß ſie keinen Doppelſinn vorausge¬ ſehen; ja er kannte die Regel, daß man aus der Aengſtlichkeit, womit einige gewiſſe Gedanken aus ihrem Sprechen bannen, die Gegenwart derſelben in ihrem Kopfe errathe. — Gleichwohl hatt' er doch nicht den Muth, zu laͤcheln wie die andern oder das von ihr beruͤhrte Haͤndgen in ſeines zu nehmen. Sie kehrte ſich zu ihm und ſagte: »aber wie lernt

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/160>, abgerufen am 17.05.2024.