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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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Aber ihm war als wollte seine Brust aufspringen,
als wär' er seelig, wenn er jetzt geliebte Menschen
umschlingen und an ihnen im seeligen Wahnsinn sei¬
nen Busen und sein Herz zerquetschen könnte --
Ihm war als wär' er überseelig, wenn er jetzt vor
irgend einem Wesen, vor einem bloßen Gedanken¬
schatten hingießen könnte all' sein Blut, sein Leben,
sein Wesen. -- Ihm war als müßt' er in Klotildens
Töne schreien und die Arme um Felsen drücken, um
nur das peinliche Sehnen zu betäuben. -- --

Er hörte die Blätter tropfen und hielt es noch
für Regen. Aber die Himmels-Katarakten hatten
sich versprungen und blos Lunens Lichtfall über¬
sprengte noch die Gegend. Der Himmel war tief
blau. Agathe hatt' ihn unter dem Regen gesucht
und jetzt erst gefunden. Er wachte auf, ging folg¬
sam und schweigend mit ihr hinaus und begegnete
lauter ausgeheiterten Himmels-Gesichtern -- da
zukten alle seine Nerven und er mußte sich mit ei¬
ner stummen Verbeugung schmerzhaft-freundlich ent¬
fernen. Jeder hatte andere Gedanken darüber.
Aber die Pfarrerin sagte der Gesellschaft, er höre
die Musik gern von Fernen, nur mache sie ihn alle¬
mal zu melancholisch.

Ach in seinem Zimmer umfing ein glücklicher
tröstender Gedanke seine Seele. Klotildens Grabes¬
lied und alles befestigte die Gestalt des erhabnen

Aber ihm war als wollte ſeine Bruſt aufſpringen,
als waͤr' er ſeelig, wenn er jetzt geliebte Menſchen
umſchlingen und an ihnen im ſeeligen Wahnſinn ſei¬
nen Buſen und ſein Herz zerquetſchen koͤnnte —
Ihm war als waͤr' er uͤberſeelig, wenn er jetzt vor
irgend einem Weſen, vor einem bloßen Gedanken¬
ſchatten hingießen koͤnnte all' ſein Blut, ſein Leben,
ſein Weſen. — Ihm war als muͤßt' er in Klotildens
Toͤne ſchreien und die Arme um Felſen druͤcken, um
nur das peinliche Sehnen zu betaͤuben. — —

Er hoͤrte die Blaͤtter tropfen und hielt es noch
fuͤr Regen. Aber die Himmels-Katarakten hatten
ſich verſprungen und blos Lunens Lichtfall uͤber¬
ſprengte noch die Gegend. Der Himmel war tief
blau. Agathe hatt' ihn unter dem Regen geſucht
und jetzt erſt gefunden. Er wachte auf, ging folg¬
ſam und ſchweigend mit ihr hinaus und begegnete
lauter ausgeheiterten Himmels-Geſichtern — da
zukten alle ſeine Nerven und er mußte ſich mit ei¬
ner ſtummen Verbeugung ſchmerzhaft-freundlich ent¬
fernen. Jeder hatte andere Gedanken daruͤber.
Aber die Pfarrerin ſagte der Geſellſchaft, er hoͤre
die Muſik gern von Fernen, nur mache ſie ihn alle¬
mal zu melancholiſch.

Ach in ſeinem Zimmer umfing ein gluͤcklicher
troͤſtender Gedanke ſeine Seele. Klotildens Grabes¬
lied und alles befeſtigte die Geſtalt des erhabnen

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[154/0165] Aber ihm war als wollte ſeine Bruſt aufſpringen, als waͤr' er ſeelig, wenn er jetzt geliebte Menſchen umſchlingen und an ihnen im ſeeligen Wahnſinn ſei¬ nen Buſen und ſein Herz zerquetſchen koͤnnte — Ihm war als waͤr' er uͤberſeelig, wenn er jetzt vor irgend einem Weſen, vor einem bloßen Gedanken¬ ſchatten hingießen koͤnnte all' ſein Blut, ſein Leben, ſein Weſen. — Ihm war als muͤßt' er in Klotildens Toͤne ſchreien und die Arme um Felſen druͤcken, um nur das peinliche Sehnen zu betaͤuben. — — Er hoͤrte die Blaͤtter tropfen und hielt es noch fuͤr Regen. Aber die Himmels-Katarakten hatten ſich verſprungen und blos Lunens Lichtfall uͤber¬ ſprengte noch die Gegend. Der Himmel war tief blau. Agathe hatt' ihn unter dem Regen geſucht und jetzt erſt gefunden. Er wachte auf, ging folg¬ ſam und ſchweigend mit ihr hinaus und begegnete lauter ausgeheiterten Himmels-Geſichtern — da zukten alle ſeine Nerven und er mußte ſich mit ei¬ ner ſtummen Verbeugung ſchmerzhaft-freundlich ent¬ fernen. Jeder hatte andere Gedanken daruͤber. Aber die Pfarrerin ſagte der Geſellſchaft, er hoͤre die Muſik gern von Fernen, nur mache ſie ihn alle¬ mal zu melancholiſch. Ach in ſeinem Zimmer umfing ein gluͤcklicher troͤſtender Gedanke ſeine Seele. Klotildens Grabes¬ lied und alles befeſtigte die Geſtalt des erhabnen

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/165>, abgerufen am 17.05.2024.