die warme Brust der unsrigen? . . . Ach Emanuel! sey für mich kein Todter! Nimm mich an! Gieb mir dein Herz! Ich will es lieben! -- Ich bin nicht sehr glücklich, mein Emanuel! da mein großer Lehrer Dahore -- dieser glänzende Schwan des Himmels, der vom zerknickten Flügelgelenk ans Leben befestigt, sehnend zu andern Schwänen aufsah, wenn sie nach den wärmern Zonen des zweiten Lebens zogen -- aufhörte an mich zu schreiben: so that ers mit den Worten: "suche mein Ebenbild: deine Brust wird "so lange bluten, bis du mit einer andern die Nar¬ "ben bedeckst und die Erde wird dich immer stärker "schütteln, wenn du allein stehest -- und nur um "den Einsamen schleichen Gespenster." -- -- Ema¬ nuel, bist du nicht ruhig und sanft und nachsichtig? -- Sehnet sich deine Seele nicht, alle Menschen zu lieben, und ist ihr nicht ein einziges Herz zu enge, in das sie mit ihrer Liebe wie eine Biene in eine ein¬ geschlafene Tulpe geschlossen ist? -- Hast du nicht satt das Repetierwerk unseres Freuden- und Trauer¬ geläutes, die Familienähnlichkeit aller Abende und Aeren? -- Schauest du nicht von dieser dahin ge¬ rissenen Erde hinaus auf deinen langen Weg über dir, damit dich nicht ekle und nicht schwindle, wie man eben deswegen aus dem Wagen auf die Stra¬ ße sieht? -- Glaubst du nicht an Menschen, um die die Bergluft einer höhern Stellung geht, die
die warme Bruſt der unſrigen? . . . Ach Emanuel! ſey fuͤr mich kein Todter! Nimm mich an! Gieb mir dein Herz! Ich will es lieben! — Ich bin nicht ſehr gluͤcklich, mein Emanuel! da mein großer Lehrer Dahore — dieſer glaͤnzende Schwan des Himmels, der vom zerknickten Fluͤgelgelenk ans Leben befeſtigt, ſehnend zu andern Schwaͤnen aufſah, wenn ſie nach den waͤrmern Zonen des zweiten Lebens zogen — aufhoͤrte an mich zu ſchreiben: ſo that ers mit den Worten: »ſuche mein Ebenbild: deine Bruſt wird »ſo lange bluten, bis du mit einer andern die Nar¬ »ben bedeckſt und die Erde wird dich immer ſtaͤrker »ſchuͤtteln, wenn du allein ſteheſt — und nur um »den Einſamen ſchleichen Geſpenſter.« — — Ema¬ nuel, biſt du nicht ruhig und ſanft und nachſichtig? — Sehnet ſich deine Seele nicht, alle Menſchen zu lieben, und iſt ihr nicht ein einziges Herz zu enge, in das ſie mit ihrer Liebe wie eine Biene in eine ein¬ geſchlafene Tulpe geſchloſſen iſt? — Haſt du nicht ſatt das Repetierwerk unſeres Freuden- und Trauer¬ gelaͤutes, die Familienaͤhnlichkeit aller Abende und Aeren? — Schaueſt du nicht von dieſer dahin ge¬ riſſenen Erde hinaus auf deinen langen Weg uͤber dir, damit dich nicht ekle und nicht ſchwindle, wie man eben deswegen aus dem Wagen auf die Stra¬ ße ſieht? — Glaubſt du nicht an Menſchen, um die die Bergluft einer hoͤhern Stellung geht, die
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die warme Bruſt der unſrigen? . . . Ach Emanuel!
ſey fuͤr mich kein Todter! Nimm mich an! Gieb
mir dein Herz! Ich will es lieben! — Ich bin nicht
ſehr gluͤcklich, mein Emanuel! da mein großer Lehrer
Dahore — dieſer glaͤnzende Schwan des Himmels,
der vom zerknickten Fluͤgelgelenk ans Leben befeſtigt,
ſehnend zu andern Schwaͤnen aufſah, wenn ſie nach
den waͤrmern Zonen des zweiten Lebens zogen —
aufhoͤrte an mich zu ſchreiben: ſo that ers mit den
Worten: »ſuche mein Ebenbild: deine Bruſt wird
»ſo lange bluten, bis du mit einer andern die Nar¬
»ben bedeckſt und die Erde wird dich immer ſtaͤrker
»ſchuͤtteln, wenn du allein ſteheſt — und nur um
»den Einſamen ſchleichen Geſpenſter.« — — Ema¬
nuel, biſt du nicht ruhig und ſanft und nachſichtig?
— Sehnet ſich deine Seele nicht, alle Menſchen zu
lieben, und iſt ihr nicht ein einziges Herz zu enge, in
das ſie mit ihrer Liebe wie eine Biene in eine ein¬
geſchlafene Tulpe geſchloſſen iſt? — Haſt du nicht
ſatt das Repetierwerk unſeres Freuden- und Trauer¬
gelaͤutes, die Familienaͤhnlichkeit aller Abende und
Aeren? — Schaueſt du nicht von dieſer dahin ge¬
riſſenen Erde hinaus auf deinen langen Weg uͤber
dir, damit dich nicht ekle und nicht ſchwindle, wie
man eben deswegen aus dem Wagen auf die Stra¬
ße ſieht? — Glaubſt du nicht an Menſchen, um die
die Bergluft einer hoͤhern Stellung geht, die
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/167>, abgerufen am 23.11.2024.
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