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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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er aus Klavier und sang unter dessen Akkompagne¬
ment die heftigsten Stellen seines Briefes ab: was
ihn stark bewegte, trieb ihn allezeit zum Singen an,
besonders der Affekt der Sehnsucht. Was kann es
uns verschlagen, daß es Prose war?

Bei der letzten Zeile seines epistolarischen Ge¬
sangs ging langsam die Thüre auf: "du bists?"
sagte eine Stimme. "Ach komm herein, Flamin!"
antwortete er. "Ich wollte nur sehen, ob du zu¬
"rückwärest" sagte Flamin und ging. --

-- Ich denke, es ist nöthig, daß ich wenigstens
folgendes dazwischen werfe: -- daß nämlich Viktor
zu viel Phantasie, Laune und Besonnenheit besaß,
um nicht, wenn diese drei Saiten zugleich erschüt¬
tert wurden, lauter Dissonanzen anzugeben, die bei
mehr harmonischen Intervallen dieser Kräfte *)weg¬
geblieben wären -- daß er daher mehr Neigung
zu Schwärmereien und zu Schwärmern hatte als
Ansatz dazu -- daß seine negativ elektrische Philo¬
sophie mit seinem positiv elektrischen Enthusiasmus
immer um das Gleichgewicht zu kämpfen hatte und

*) Gerade der Besitz ungleichartiger Kräfte in glei¬
chem
Grade macht inkonsequent und widersprechend;
Menschen mit Einer dominirenden Kraft handeln gleicher
nur nach ihr. In Republiken ist mehr Mißhelligkeit als in
Despotien; am Aequator ist ein gleicherer Barometerstand
als in gemässigten Zonen.

er aus Klavier und ſang unter deſſen Akkompagne¬
ment die heftigſten Stellen ſeines Briefes ab: was
ihn ſtark bewegte, trieb ihn allezeit zum Singen an,
beſonders der Affekt der Sehnſucht. Was kann es
uns verſchlagen, daß es Proſe war?

Bei der letzten Zeile ſeines epiſtolariſchen Ge¬
ſangs ging langſam die Thuͤre auf: »du biſts?«
ſagte eine Stimme. »Ach komm herein, Flamin!«
antwortete er. »Ich wollte nur ſehen, ob du zu¬
»ruͤckwaͤreſt« ſagte Flamin und ging. —

— Ich denke, es iſt noͤthig, daß ich wenigſtens
folgendes dazwiſchen werfe: — daß naͤmlich Viktor
zu viel Phantaſie, Laune und Beſonnenheit beſaß,
um nicht, wenn dieſe drei Saiten zugleich erſchuͤt¬
tert wurden, lauter Diſſonanzen anzugeben, die bei
mehr harmoniſchen Intervallen dieſer Kraͤfte *)weg¬
geblieben waͤren — daß er daher mehr Neigung
zu Schwaͤrmereien und zu Schwaͤrmern hatte als
Anſatz dazu — daß ſeine negativ elektriſche Philo¬
ſophie mit ſeinem poſitiv elektriſchen Enthuſiasmus
immer um das Gleichgewicht zu kaͤmpfen hatte und

*) Gerade der Beſitz ungleichartiger Kraͤfte in glei¬
chem
Grade macht inkonſequent und widerſprechend;
Menſchen mit Einer dominirenden Kraft handeln gleicher
nur nach ihr. In Republiken iſt mehr Mißhelligkeit als in
Deſpotien; am Aequator iſt ein gleicherer Barometerſtand
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[158/0169] er aus Klavier und ſang unter deſſen Akkompagne¬ ment die heftigſten Stellen ſeines Briefes ab: was ihn ſtark bewegte, trieb ihn allezeit zum Singen an, beſonders der Affekt der Sehnſucht. Was kann es uns verſchlagen, daß es Proſe war? Bei der letzten Zeile ſeines epiſtolariſchen Ge¬ ſangs ging langſam die Thuͤre auf: »du biſts?« ſagte eine Stimme. »Ach komm herein, Flamin!« antwortete er. »Ich wollte nur ſehen, ob du zu¬ »ruͤckwaͤreſt« ſagte Flamin und ging. — — Ich denke, es iſt noͤthig, daß ich wenigſtens folgendes dazwiſchen werfe: — daß naͤmlich Viktor zu viel Phantaſie, Laune und Beſonnenheit beſaß, um nicht, wenn dieſe drei Saiten zugleich erſchuͤt¬ tert wurden, lauter Diſſonanzen anzugeben, die bei mehr harmoniſchen Intervallen dieſer Kraͤfte *)weg¬ geblieben waͤren — daß er daher mehr Neigung zu Schwaͤrmereien und zu Schwaͤrmern hatte als Anſatz dazu — daß ſeine negativ elektriſche Philo¬ ſophie mit ſeinem poſitiv elektriſchen Enthuſiasmus immer um das Gleichgewicht zu kaͤmpfen hatte und *) Gerade der Beſitz ungleichartiger Kraͤfte in glei¬ chem Grade macht inkonſequent und widerſprechend; Menſchen mit Einer dominirenden Kraft handeln gleicher nur nach ihr. In Republiken iſt mehr Mißhelligkeit als in Deſpotien; am Aequator iſt ein gleicherer Barometerſtand als in gemaͤſſigten Zonen.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/169>, abgerufen am 23.11.2024.