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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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bel an und aus Farben ringen sich Farben los --
der Erdball wälzt sich groß und trunken voll
Blüten und Thiere in den glühenden Schoos des
Morgens. -- --

Sobald die Sonne kömmt, so schau' ich in sie
hinein und mein Herz hebt sich empor und schwört
dir, daß es dich liebt, Horion! . . . Durchglühe,
Aurora: das Menschenherz wie dein Gewölk, erhelle
das Menschenauge wie deinen Thau und zieh in die
dunkle Brust wie in deinen Himmel eine Sonne
herauf! ...

Ich habe dir jetzt geschworen -- ich gebe dir
meine ganze Seele und mein kleines Leben, und die
Sonne ist das Siegel auf dem Bunde zwischen mir
und dir.

Ich kenne dich, Geliebter; aber weist du, wessen
Hand du in deine genommen? Sieh diese Hand hat
in Asien acht edle Augen zugeschlossen -- mich über¬
lebte kein Freund -- in Europa verhüll' ich mich --
meine trübe Geschichte liegt neben der Asche meiner
Eltern im Gangesstrom und am 24ten Junius des
künftigen Jahres geh' ich aus der Welt ... O Ewi¬
ger, ich gehe -- am längsten Tage zieht der glückli¬
che Geist geflügelt aus diesem Sonnentempel und die
grüne Erde geht auseinander und schlägt über meine
fallende Puppe mit ihren Blumen zusammen und
deckt das vergangne Herz mit Rosen zu. . . .

Wehe

bel an und aus Farben ringen ſich Farben los —
der Erdball waͤlzt ſich groß und trunken voll
Bluͤten und Thiere in den gluͤhenden Schoos des
Morgens. — —

Sobald die Sonne koͤmmt, ſo ſchau' ich in ſie
hinein und mein Herz hebt ſich empor und ſchwoͤrt
dir, daß es dich liebt, Horion! . . . Durchgluͤhe,
Aurora: das Menſchenherz wie dein Gewoͤlk, erhelle
das Menſchenauge wie deinen Thau und zieh in die
dunkle Bruſt wie in deinen Himmel eine Sonne
herauf! ...

Ich habe dir jetzt geſchworen — ich gebe dir
meine ganze Seele und mein kleines Leben, und die
Sonne iſt das Siegel auf dem Bunde zwiſchen mir
und dir.

Ich kenne dich, Geliebter; aber weiſt du, weſſen
Hand du in deine genommen? Sieh dieſe Hand hat
in Aſien acht edle Augen zugeſchloſſen — mich uͤber¬
lebte kein Freund — in Europa verhuͤll' ich mich —
meine truͤbe Geſchichte liegt neben der Aſche meiner
Eltern im Gangesſtrom und am 24ten Junius des
kuͤnftigen Jahres geh' ich aus der Welt ... O Ewi¬
ger, ich gehe — am laͤngſten Tage zieht der gluͤckli¬
che Geiſt gefluͤgelt aus dieſem Sonnentempel und die
gruͤne Erde geht auseinander und ſchlaͤgt uͤber meine
fallende Puppe mit ihren Blumen zuſammen und
deckt das vergangne Herz mit Roſen zu. . . .

Wehe
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[192/0203] bel an und aus Farben ringen ſich Farben los — der Erdball waͤlzt ſich groß und trunken voll Bluͤten und Thiere in den gluͤhenden Schoos des Morgens. — — Sobald die Sonne koͤmmt, ſo ſchau' ich in ſie hinein und mein Herz hebt ſich empor und ſchwoͤrt dir, daß es dich liebt, Horion! . . . Durchgluͤhe, Aurora: das Menſchenherz wie dein Gewoͤlk, erhelle das Menſchenauge wie deinen Thau und zieh in die dunkle Bruſt wie in deinen Himmel eine Sonne herauf! ... Ich habe dir jetzt geſchworen — ich gebe dir meine ganze Seele und mein kleines Leben, und die Sonne iſt das Siegel auf dem Bunde zwiſchen mir und dir. Ich kenne dich, Geliebter; aber weiſt du, weſſen Hand du in deine genommen? Sieh dieſe Hand hat in Aſien acht edle Augen zugeſchloſſen — mich uͤber¬ lebte kein Freund — in Europa verhuͤll' ich mich — meine truͤbe Geſchichte liegt neben der Aſche meiner Eltern im Gangesſtrom und am 24ten Junius des kuͤnftigen Jahres geh' ich aus der Welt ... O Ewi¬ ger, ich gehe — am laͤngſten Tage zieht der gluͤckli¬ che Geiſt gefluͤgelt aus dieſem Sonnentempel und die gruͤne Erde geht auseinander und ſchlaͤgt uͤber meine fallende Puppe mit ihren Blumen zuſammen und deckt das vergangne Herz mit Roſen zu. . . . Wehe

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/203>, abgerufen am 24.11.2024.