der bald sterben muß. Du gutes Herz, das mir die¬ ses milde Leben noch zum Abschied in die Hände drückt, unaussprechlich will ich dich lieben und wär¬ men -- in diesem Jahr, wo ich noch nicht weggeho¬ ben werde, will ich blos bei dir bleiben und wenn der Tod kömmt und mein Herz fodert, findet er es blos an deiner Brust.
Ich kenne meinen Freund, sein Leben und seine Zukunft. In deinen kommenden Jahren stehen dunkle Marterkammern offen und wenn ich sterbe und du bei mir bist, werd' ich seufzen: warum kann ich ihn nicht mitnehmen, eh' er seine Thränen ver¬ giesset.
Ach Horion! im Menschen steht ein schwarzes Todtenmeer, aus dem sich erst, wenn es zittert, die glückliche Insel der zweiten Welt mit ihren Nebeln vorhebt! Aber meine Lippen werden schon unter dem Erdenkloß liegen in der kalten Stunde, wo du kei¬ nen Gott mehr sehen wirst, wo auf seinem Thron der Tod liegt und um sich mäht und bis ans Nichts seine Frostschatten und seine Sensen-Blitze wirft -- O Geliebter, mein Hügel wird dann schon stehen, wenn deine innere Mitternacht anbricht; mit Jam¬ mer wirst du auf ihn steigen und ergrimmt in die
der bald ſterben muß. Du gutes Herz, das mir die¬ ſes milde Leben noch zum Abſchied in die Haͤnde druͤckt, unausſprechlich will ich dich lieben und waͤr¬ men — in dieſem Jahr, wo ich noch nicht weggeho¬ ben werde, will ich blos bei dir bleiben und wenn der Tod koͤmmt und mein Herz fodert, findet er es blos an deiner Bruſt.
Ich kenne meinen Freund, ſein Leben und ſeine Zukunft. In deinen kommenden Jahren ſtehen dunkle Marterkammern offen und wenn ich ſterbe und du bei mir biſt, werd' ich ſeufzen: warum kann ich ihn nicht mitnehmen, eh' er ſeine Thraͤnen ver¬ gieſſet.
Ach Horion! im Menſchen ſteht ein ſchwarzes Todtenmeer, aus dem ſich erſt, wenn es zittert, die gluͤckliche Inſel der zweiten Welt mit ihren Nebeln vorhebt! Aber meine Lippen werden ſchon unter dem Erdenkloß liegen in der kalten Stunde, wo du kei¬ nen Gott mehr ſehen wirſt, wo auf ſeinem Thron der Tod liegt und um ſich maͤht und bis ans Nichts ſeine Froſtſchatten und ſeine Senſen-Blitze wirft — O Geliebter, mein Huͤgel wird dann ſchon ſtehen, wenn deine innere Mitternacht anbricht; mit Jam¬ mer wirſt du auf ihn ſteigen und ergrimmt in die
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der bald ſterben muß. Du gutes Herz, das mir die¬
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druͤckt, unausſprechlich will ich dich lieben und waͤr¬
men — in dieſem Jahr, wo ich noch nicht weggeho¬
ben werde, will ich blos bei dir bleiben und wenn
der Tod koͤmmt und mein Herz fodert, findet er es
blos an deiner Bruſt.
Ich kenne meinen Freund, ſein Leben und ſeine
Zukunft. In deinen kommenden Jahren ſtehen
dunkle Marterkammern offen und wenn ich ſterbe
und du bei mir biſt, werd' ich ſeufzen: warum kann
ich ihn nicht mitnehmen, eh' er ſeine Thraͤnen ver¬
gieſſet.
Ach Horion! im Menſchen ſteht ein ſchwarzes
Todtenmeer, aus dem ſich erſt, wenn es zittert, die
gluͤckliche Inſel der zweiten Welt mit ihren Nebeln
vorhebt! Aber meine Lippen werden ſchon unter dem
Erdenkloß liegen in der kalten Stunde, wo du kei¬
nen Gott mehr ſehen wirſt, wo auf ſeinem Thron
der Tod liegt und um ſich maͤht und bis ans Nichts
ſeine Froſtſchatten und ſeine Senſen-Blitze wirft —
O Geliebter, mein Huͤgel wird dann ſchon ſtehen,
wenn deine innere Mitternacht anbricht; mit Jam¬
mer wirſt du auf ihn ſteigen und ergrimmt in die
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/205>, abgerufen am 24.11.2024.
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