nem andern Ort als mitten in dir. Sey so groß, die Erde zu verschmähen, werde größer, um sie zu achten. Dem Mund, der an sie gebückt ist, scheint sie eine fette Blumenebene -- dem Menschen in der Erdnähe ein dunkler Weltkörper -- dem Men¬ schen in der Erdferne ein schimmernder Mond. Dann erst fließet das Heilige, das von unbekannten Höhen in den Menschen gesenkt ist, aus deiner See¬ le, vermischt sich mit dem irrdischen Leben und er¬ quickt alles was dich umgiebt: so muß das Waßer aus dem Himmel und seinem Gewölk erst unter die Erde rinnen, und aus ihr wieder aufquellen eh' es zum frischen hellen Trank geläutert ist. -- Die ganze Erde bebt jetzt vor Wonne, daß alles ertönt und singt und ruft, wie Glocken unter dem Erdbeben von selber erklingen. -- Und die Seele des Menschen wird immer größer gemacht vom nahen Unsicht¬ baren -- --
Ich liebe dich sehr! --
Emanuel.
Horion las durch schwimmende Augen: "ach, "wünscht' er, wär' ich schon heute mit meinem un¬ "ordentlichen Herzen bei dir, du Verklärter!" und jetzt fiel ihm erst die Nähe des Johannistages ein und er nahm sich vor, ihn da zu sehen. Die Sonne war schon verschwunden, die Abendröthe sank wie
nem andern Ort als mitten in dir. Sey ſo groß, die Erde zu verſchmaͤhen, werde groͤßer, um ſie zu achten. Dem Mund, der an ſie gebuͤckt iſt, ſcheint ſie eine fette Blumenebene — dem Menſchen in der Erdnaͤhe ein dunkler Weltkoͤrper — dem Men¬ ſchen in der Erdferne ein ſchimmernder Mond. Dann erſt fließet das Heilige, das von unbekannten Hoͤhen in den Menſchen geſenkt iſt, aus deiner See¬ le, vermiſcht ſich mit dem irrdiſchen Leben und er¬ quickt alles was dich umgiebt: ſo muß das Waßer aus dem Himmel und ſeinem Gewoͤlk erſt unter die Erde rinnen, und aus ihr wieder aufquellen eh' es zum friſchen hellen Trank gelaͤutert iſt. — Die ganze Erde bebt jetzt vor Wonne, daß alles ertoͤnt und ſingt und ruft, wie Glocken unter dem Erdbeben von ſelber erklingen. — Und die Seele des Menſchen wird immer groͤßer gemacht vom nahen Unſicht¬ baren — —
Ich liebe dich ſehr! —
Emanuel.
Horion las durch ſchwimmende Augen: »ach, »wuͤnſcht' er, waͤr' ich ſchon heute mit meinem un¬ »ordentlichen Herzen bei dir, du Verklaͤrter!« und jetzt fiel ihm erſt die Naͤhe des Johannistages ein und er nahm ſich vor, ihn da zu ſehen. Die Sonne war ſchon verſchwunden, die Abendroͤthe ſank wie
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nem andern Ort als mitten in dir. Sey ſo groß,
die Erde zu verſchmaͤhen, werde groͤßer, um ſie zu
achten. Dem Mund, der an ſie gebuͤckt iſt, ſcheint
ſie eine fette Blumenebene — dem Menſchen in der
Erdnaͤhe ein dunkler Weltkoͤrper — dem Men¬
ſchen in der Erdferne ein ſchimmernder Mond.
Dann erſt fließet das Heilige, das von unbekannten
Hoͤhen in den Menſchen geſenkt iſt, aus deiner See¬
le, vermiſcht ſich mit dem irrdiſchen Leben und er¬
quickt alles was dich umgiebt: ſo muß das Waßer
aus dem Himmel und ſeinem Gewoͤlk erſt unter die
Erde rinnen, und aus ihr wieder aufquellen eh' es
zum friſchen hellen Trank gelaͤutert iſt. — Die ganze
Erde bebt jetzt vor Wonne, daß alles ertoͤnt und
ſingt und ruft, wie Glocken unter dem Erdbeben von
ſelber erklingen. — Und die Seele des Menſchen
wird immer groͤßer gemacht vom nahen Unſicht¬
baren — —
Ich liebe dich ſehr! —
Emanuel.
Horion las durch ſchwimmende Augen: »ach,
»wuͤnſcht' er, waͤr' ich ſchon heute mit meinem un¬
»ordentlichen Herzen bei dir, du Verklaͤrter!« und
jetzt fiel ihm erſt die Naͤhe des Johannistages ein
und er nahm ſich vor, ihn da zu ſehen. Die Sonne
war ſchon verſchwunden, die Abendroͤthe ſank wie
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/208>, abgerufen am 24.11.2024.
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