Der Venusstern und ein Wald blühen am schön¬ sten am Morgen und Abend: auf beide treffen dann die meisten Strahlen der Sonne. Daher war unse¬ rem Viktor im Walde als gieng' er durch die Pforte eines neuen Lebens, da er an diesem feurigen Morgen mit der Sonne, die neben ihm von Zweigen zu Zweigen flog, durch das brausende Gehölz, hinweg unter vollstimmigen Aesten, die so viele bewegte Spiel-Walzen waren, über das im grünen Sonnenfeuer stehende Moos und unter dem ins himmlische Blau getauchte Tannengrün hindurch wankte. -- Und an diesem Morgen erneuerte sich in seinem Herzen die schmerzhafte Aehnlichkeit von vier Dingen, -- von dem Leben, einem Tage, einem Jahre, einer Reise, die einander gleichen im fri¬ schen Jubel-Anfang -- im schwülen Mittelstück -- im müden satten Ende. -- --
Draussen im Anfluge, im Hintergrund des Wäld¬ gens rollte vor ihm die Natur ihr meilenlanges Al¬ tarblatt auch mit den Hügel Ketten desselben, mit seinen blendenden Landhäusern, die sich mit Gärten wie mit Fruchtschnüren putzten, mit den Miniatur¬ farben der Blümgen, die sich an der silbernen Schön¬ heitslinie der Bäche bewegten. Und eine Wolke trunkner, spielender, schwirrender Miniaturwesen aus Seidenstaub zog und hieng über das wallende Gemälde her. -- Welchen Weg sollte Viktor im La¬ byrinth der Schönheit nehmen? -- Alle 64 Radien
Der Venusſtern und ein Wald bluͤhen am ſchoͤn¬ ſten am Morgen und Abend: auf beide treffen dann die meiſten Strahlen der Sonne. Daher war unſe¬ rem Viktor im Walde als gieng' er durch die Pforte eines neuen Lebens, da er an dieſem feurigen Morgen mit der Sonne, die neben ihm von Zweigen zu Zweigen flog, durch das brauſende Gehoͤlz, hinweg unter vollſtimmigen Aeſten, die ſo viele bewegte Spiel-Walzen waren, uͤber das im gruͤnen Sonnenfeuer ſtehende Moos und unter dem ins himmliſche Blau getauchte Tannengruͤn hindurch wankte. — Und an dieſem Morgen erneuerte ſich in ſeinem Herzen die ſchmerzhafte Aehnlichkeit von vier Dingen, — von dem Leben, einem Tage, einem Jahre, einer Reiſe, die einander gleichen im fri¬ ſchen Jubel-Anfang — im ſchwuͤlen Mittelſtuͤck — im muͤden ſatten Ende. — —
Drauſſen im Anfluge, im Hintergrund des Waͤld¬ gens rollte vor ihm die Natur ihr meilenlanges Al¬ tarblatt auch mit den Huͤgel Ketten deſſelben, mit ſeinen blendenden Landhaͤuſern, die ſich mit Gaͤrten wie mit Fruchtſchnuͤren putzten, mit den Miniatur¬ farben der Bluͤmgen, die ſich an der ſilbernen Schoͤn¬ heitslinie der Baͤche bewegten. Und eine Wolke trunkner, ſpielender, ſchwirrender Miniaturweſen aus Seidenſtaub zog und hieng uͤber das wallende Gemaͤlde her. — Welchen Weg ſollte Viktor im La¬ byrinth der Schoͤnheit nehmen? — Alle 64 Radien
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Der Venusſtern und ein Wald bluͤhen am ſchoͤn¬
ſten am Morgen und Abend: auf beide treffen dann
die meiſten Strahlen der Sonne. Daher war unſe¬
rem Viktor im Walde als gieng' er durch die
Pforte eines neuen Lebens, da er an dieſem
feurigen Morgen mit der Sonne, die neben ihm
von Zweigen zu Zweigen flog, durch das brauſende
Gehoͤlz, hinweg unter vollſtimmigen Aeſten, die ſo
viele bewegte Spiel-Walzen waren, uͤber das im
gruͤnen Sonnenfeuer ſtehende Moos und unter dem
ins himmliſche Blau getauchte Tannengruͤn hindurch
wankte. — Und an dieſem Morgen erneuerte ſich in
ſeinem Herzen die ſchmerzhafte Aehnlichkeit von vier
Dingen, — von dem Leben, einem Tage, einem
Jahre, einer Reiſe, die einander gleichen im fri¬
ſchen Jubel-Anfang — im ſchwuͤlen Mittelſtuͤck —
im muͤden ſatten Ende. — —
Drauſſen im Anfluge, im Hintergrund des Waͤld¬
gens rollte vor ihm die Natur ihr meilenlanges Al¬
tarblatt auch mit den Huͤgel Ketten deſſelben, mit
ſeinen blendenden Landhaͤuſern, die ſich mit Gaͤrten
wie mit Fruchtſchnuͤren putzten, mit den Miniatur¬
farben der Bluͤmgen, die ſich an der ſilbernen Schoͤn¬
heitslinie der Baͤche bewegten. Und eine Wolke
trunkner, ſpielender, ſchwirrender Miniaturweſen
aus Seidenſtaub zog und hieng uͤber das wallende
Gemaͤlde her. — Welchen Weg ſollte Viktor im La¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/225>, abgerufen am 26.11.2024.
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