cken lassen. Die gute Seele hatte, da sie ihr Ge¬ betbuch und Paternoster verlohren, aus dem Pfingst¬ programm de Chalifis litterarum studiosis ihre An¬ dacht mit Leichtigkeit verrichtet, da sie weder La¬ teinisch noch Lesen konnte und das Händefalten für die Mauerische Manual-Pantomime ansah, die man höhern Orts schon verstehen würde. Sie wickelte einen sechsten amputirten Finger aus einem Papier heraus und sagte, den hätte das Marienkloster zu Flachsenfingen, an dessen Mutter Gottes ihr Vater ihn zur Dankbarkeit habe henken wollen, nicht ange¬ nommen, weil er nicht von Silber wäre. -- Da Büffon den Fingern des Menschen die Deutlichkeit seiner Begriffe zuschreibt -- so daß sich die Gedanken zu¬ gleich mit der Hand zergliedern --: so muß einer, der eine Sexte von Finger hat, um 1/6 deutlicher denken; und blos so einer könnte mit einem solchen Supranumerar-Schreibfinger mehr in den Wis¬ senschaften thun als wir mit der ganzen Hand. --
Sie erzählte, daß ihr Vater sie erst in zwey Jahren heyrathen werde, und daß sein Sohn ihre Schwester bekommen könnte, wenn diese nicht erst sechs Jahre alt wäre -- und daß sie beyde wie an Kindesstatt beim Sechsfinger angenommen worden -- und daß er seine Bijouteriebude, womit er aus ei¬ nem gräflichen Schlosse ins andre wanderte, gerade in dem des Grafen von O. habe nebst Tisch und
cken laſſen. Die gute Seele hatte, da ſie ihr Ge¬ betbuch und Paternoſter verlohren, aus dem Pfingſt¬ programm de Chalifis litterarum studiosis ihre An¬ dacht mit Leichtigkeit verrichtet, da ſie weder La¬ teiniſch noch Leſen konnte und das Haͤndefalten fuͤr die Maueriſche Manual-Pantomime anſah, die man hoͤhern Orts ſchon verſtehen wuͤrde. Sie wickelte einen ſechſten amputirten Finger aus einem Papier heraus und ſagte, den haͤtte das Marienkloſter zu Flachſenfingen, an deſſen Mutter Gottes ihr Vater ihn zur Dankbarkeit habe henken wollen, nicht ange¬ nommen, weil er nicht von Silber waͤre. — Da Buͤffon den Fingern des Menſchen die Deutlichkeit ſeiner Begriffe zuſchreibt — ſo daß ſich die Gedanken zu¬ gleich mit der Hand zergliedern —: ſo muß einer, der eine Sexte von Finger hat, um ⅙ deutlicher denken; und blos ſo einer koͤnnte mit einem ſolchen Supranumerar-Schreibfinger mehr in den Wiſ¬ ſenſchaften thun als wir mit der ganzen Hand. —
Sie erzaͤhlte, daß ihr Vater ſie erſt in zwey Jahren heyrathen werde, und daß ſein Sohn ihre Schweſter bekommen koͤnnte, wenn dieſe nicht erſt ſechs Jahre alt waͤre — und daß ſie beyde wie an Kindesſtatt beim Sechsfinger angenommen worden — und daß er ſeine Bijouteriebude, womit er aus ei¬ nem graͤflichen Schloſſe ins andre wanderte, gerade in dem des Grafen von O. habe nebſt Tiſch und
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cken laſſen. Die gute Seele hatte, da ſie ihr Ge¬
betbuch und Paternoſter verlohren, aus dem Pfingſt¬
programm de Chalifis litterarum studiosis ihre An¬
dacht mit Leichtigkeit verrichtet, da ſie weder La¬
teiniſch noch Leſen konnte und das Haͤndefalten fuͤr
die Maueriſche Manual-Pantomime anſah, die man
hoͤhern Orts ſchon verſtehen wuͤrde. Sie wickelte
einen ſechſten amputirten Finger aus einem Papier
heraus und ſagte, den haͤtte das Marienkloſter zu
Flachſenfingen, an deſſen Mutter Gottes ihr Vater
ihn zur Dankbarkeit habe henken wollen, nicht ange¬
nommen, weil er nicht von Silber waͤre. — Da Buͤffon
den Fingern des Menſchen die Deutlichkeit ſeiner
Begriffe zuſchreibt — ſo daß ſich die Gedanken zu¬
gleich mit der Hand zergliedern —: ſo muß einer,
der eine Sexte von Finger hat, um ⅙ deutlicher
denken; und blos ſo einer koͤnnte mit einem ſolchen
Supranumerar-Schreibfinger mehr in den Wiſ¬
ſenſchaften thun als wir mit der ganzen Hand. —
Sie erzaͤhlte, daß ihr Vater ſie erſt in zwey
Jahren heyrathen werde, und daß ſein Sohn ihre
Schweſter bekommen koͤnnte, wenn dieſe nicht erſt
ſechs Jahre alt waͤre — und daß ſie beyde wie an
Kindesſtatt beim Sechsfinger angenommen worden —
und daß er ſeine Bijouteriebude, womit er aus ei¬
nem graͤflichen Schloſſe ins andre wanderte, gerade
in dem des Grafen von O. habe nebſt Tiſch und
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/248>, abgerufen am 22.11.2024.
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