Bude. Um zehn Uhr fiel die "Uebergabe" der Prin¬ zessin vor. Die drei Zimmer, worin sie vergehen sollte, lagen mit ihren Flügelthüren seinem Kauf¬ laden entgegen. Er hatte die Prinzessin noch nie gesehen -- ausser die ganze Nacht in jedem Traum -- und konnt' alles kaum erwarten. . .
Und der Leser auch: schneutzt er nicht jetzt Licht und Nase -- füllt Pfeife und Glas -- ändert die Posizion, wenn er auf einem sogenannten Lese-Esel reitet -- drückt das Buch glatt auseinander und sagt mit ungemeinem Vergnügen: "auf die Be¬ "schreibung spitz' ich mich gewissermassen?" -- Ich wahrlich nicht: mir ist als sollt' ich arquebousirt werden. Wahrhaftig ein Infanterist, der mitten im Winter Sturm läuft gegen eine feindliche Mauer vom dicksten Papier in einer Oper, hat seinen Him¬ mel auf der Erde, mit einem Berghauptmann mei¬ nes Gelichters verglichen.
Denn einer, der Kaffee trinkt und eine Beschrei¬ bung von irgend einem Schulaktus des Hofs ma¬ chen will -- z. B. von einem Courtag -- von ei¬ ner Vermählung (im Grunde, von den Vorerinne¬ rungen dazu) -- von einer Uebergabe -- ein solcher Trinker macht sich anheischig, Auftritte, deren Würde so äusserst fein und flüchtig ist, daß der ge¬ ringste falsche Nebenzug und Halbschatten sie völlig lächerlich macht -- daher auch Zuschauer wegen sol¬
Bude. Um zehn Uhr fiel die »Uebergabe» der Prin¬ zeſſin vor. Die drei Zimmer, worin ſie vergehen ſollte, lagen mit ihren Fluͤgelthuͤren ſeinem Kauf¬ laden entgegen. Er hatte die Prinzeſſin noch nie geſehen — auſſer die ganze Nacht in jedem Traum — und konnt' alles kaum erwarten. . .
Und der Leſer auch: ſchneutzt er nicht jetzt Licht und Naſe — fuͤllt Pfeife und Glas — aͤndert die Poſizion, wenn er auf einem ſogenannten Leſe-Eſel reitet — druͤckt das Buch glatt auseinander und ſagt mit ungemeinem Vergnuͤgen: »auf die Be¬ »ſchreibung ſpitz' ich mich gewiſſermaſſen?» — Ich wahrlich nicht: mir iſt als ſollt' ich arquebouſirt werden. Wahrhaftig ein Infanteriſt, der mitten im Winter Sturm laͤuft gegen eine feindliche Mauer vom dickſten Papier in einer Oper, hat ſeinen Him¬ mel auf der Erde, mit einem Berghauptmann mei¬ nes Gelichters verglichen.
Denn einer, der Kaffee trinkt und eine Beſchrei¬ bung von irgend einem Schulaktus des Hofs ma¬ chen will — z. B. von einem Courtag — von ei¬ ner Vermaͤhlung (im Grunde, von den Vorerinne¬ rungen dazu) — von einer Uebergabe — ein ſolcher Trinker macht ſich anheiſchig, Auftritte, deren Wuͤrde ſo aͤuſſerſt fein und fluͤchtig iſt, daß der ge¬ ringſte falſche Nebenzug und Halbſchatten ſie voͤllig laͤcherlich macht — daher auch Zuſchauer wegen ſol¬
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Bude. Um zehn Uhr fiel die »Uebergabe» der Prin¬
zeſſin vor. Die drei Zimmer, worin ſie vergehen
ſollte, lagen mit ihren Fluͤgelthuͤren ſeinem Kauf¬
laden entgegen. Er hatte die Prinzeſſin noch nie
geſehen — auſſer die ganze Nacht in jedem Traum
— und konnt' alles kaum erwarten. . .
Und der Leſer auch: ſchneutzt er nicht jetzt Licht
und Naſe — fuͤllt Pfeife und Glas — aͤndert die
Poſizion, wenn er auf einem ſogenannten Leſe-Eſel
reitet — druͤckt das Buch glatt auseinander und
ſagt mit ungemeinem Vergnuͤgen: »auf die Be¬
»ſchreibung ſpitz' ich mich gewiſſermaſſen?» — Ich
wahrlich nicht: mir iſt als ſollt' ich arquebouſirt
werden. Wahrhaftig ein Infanteriſt, der mitten
im Winter Sturm laͤuft gegen eine feindliche Mauer
vom dickſten Papier in einer Oper, hat ſeinen Him¬
mel auf der Erde, mit einem Berghauptmann mei¬
nes Gelichters verglichen.
Denn einer, der Kaffee trinkt und eine Beſchrei¬
bung von irgend einem Schulaktus des Hofs ma¬
chen will — z. B. von einem Courtag — von ei¬
ner Vermaͤhlung (im Grunde, von den Vorerinne¬
rungen dazu) — von einer Uebergabe — ein ſolcher
Trinker macht ſich anheiſchig, Auftritte, deren
Wuͤrde ſo aͤuſſerſt fein und fluͤchtig iſt, daß der ge¬
ringſte falſche Nebenzug und Halbſchatten ſie voͤllig
laͤcherlich macht — daher auch Zuſchauer wegen ſol¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/257>, abgerufen am 22.11.2024.
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