diger und auf dasselbe hinaus tritt jetzt die Prinzes¬ sin an der Hand des italienischen Ministers aus der Kulisse No. l.; beide wirken anfangs gleich dert Na¬ tur, still auf diesem Paradeplatz, der schon auf dem Papier zwei Seiten lang ist . . .
Nur einen Blick vom Theater in die Frontloge! Viktor agiret für sich, indem er unter den Lorgnet¬ ten, die er zu verkaufen hat, sich die hohleste aus¬ klaubt und damit die Heldin meiner historischen Be¬ nefizkommödie ergreift. . . Er sah Beicht- und Betschemel, auf dem sie heute schon gekniet hatte: "ich wollt' (sagt' er zu Tostato) ich wäre heute der "Pater gewesen, ich hätt' ihr ihre Sünden verge¬ "ben, aber nicht ihre Tugenden." Sie hatte zwar jenes regulirte Staaten- und Madonnengesicht, das eben so oft hohle als volle Weiberköpfe zudeckt; ihre Hofdebitrolle verbarg zwar jede Welle und je¬ den Schimmer des Geistes und Gesichts unter der Eiskruste der Dezenz: aber ein sanftes Kindesauge, das uns auf ihre Stimme begierig macht, eine Ge¬ duld, die sich lieber ihres Geschlechtes als ihres Standes erinnert, eine müde Seele, die sich nach doppelter Ruhe, vielleicht nach den mütterlichen Ge¬ filden sehnte, sogar ein unmerklicher Rand um die Augen, der von Augenschmerzen oder vielleicht noch tiefer gezeichnet war, alle diese Reize, die zu Fun¬ ken wurden, welche in den getrockneten Zunder des
diger und auf daſſelbe hinaus tritt jetzt die Prinzeſ¬ ſin an der Hand des italieniſchen Miniſters aus der Kuliſſe No. l.; beide wirken anfangs gleich dert Na¬ tur, ſtill auf dieſem Paradeplatz, der ſchon auf dem Papier zwei Seiten lang iſt . . .
Nur einen Blick vom Theater in die Frontloge! Viktor agiret fuͤr ſich, indem er unter den Lorgnet¬ ten, die er zu verkaufen hat, ſich die hohleſte aus¬ klaubt und damit die Heldin meiner hiſtoriſchen Be¬ nefizkommoͤdie ergreift. . . Er ſah Beicht- und Betſchemel, auf dem ſie heute ſchon gekniet hatte: »ich wollt' (ſagt' er zu Toſtato) ich waͤre heute der »Pater geweſen, ich haͤtt' ihr ihre Suͤnden verge¬ »ben, aber nicht ihre Tugenden.« Sie hatte zwar jenes regulirte Staaten- und Madonnengeſicht, das eben ſo oft hohle als volle Weiberkoͤpfe zudeckt; ihre Hofdebitrolle verbarg zwar jede Welle und je¬ den Schimmer des Geiſtes und Geſichts unter der Eiskruſte der Dezenz: aber ein ſanftes Kindesauge, das uns auf ihre Stimme begierig macht, eine Ge¬ duld, die ſich lieber ihres Geſchlechtes als ihres Standes erinnert, eine muͤde Seele, die ſich nach doppelter Ruhe, vielleicht nach den muͤtterlichen Ge¬ filden ſehnte, ſogar ein unmerklicher Rand um die Augen, der von Augenſchmerzen oder vielleicht noch tiefer gezeichnet war, alle dieſe Reize, die zu Fun¬ ken wurden, welche in den getrockneten Zunder des
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[251/0262]
diger und auf daſſelbe hinaus tritt jetzt die Prinzeſ¬
ſin an der Hand des italieniſchen Miniſters aus der
Kuliſſe No. l.; beide wirken anfangs gleich dert Na¬
tur, ſtill auf dieſem Paradeplatz, der ſchon auf dem
Papier zwei Seiten lang iſt . . .
Nur einen Blick vom Theater in die Frontloge!
Viktor agiret fuͤr ſich, indem er unter den Lorgnet¬
ten, die er zu verkaufen hat, ſich die hohleſte aus¬
klaubt und damit die Heldin meiner hiſtoriſchen Be¬
nefizkommoͤdie ergreift. . . Er ſah Beicht- und
Betſchemel, auf dem ſie heute ſchon gekniet hatte:
»ich wollt' (ſagt' er zu Toſtato) ich waͤre heute der
»Pater geweſen, ich haͤtt' ihr ihre Suͤnden verge¬
»ben, aber nicht ihre Tugenden.« Sie hatte zwar
jenes regulirte Staaten- und Madonnengeſicht, das
eben ſo oft hohle als volle Weiberkoͤpfe zudeckt;
ihre Hofdebitrolle verbarg zwar jede Welle und je¬
den Schimmer des Geiſtes und Geſichts unter der
Eiskruſte der Dezenz: aber ein ſanftes Kindesauge,
das uns auf ihre Stimme begierig macht, eine Ge¬
duld, die ſich lieber ihres Geſchlechtes als ihres
Standes erinnert, eine muͤde Seele, die ſich nach
doppelter Ruhe, vielleicht nach den muͤtterlichen Ge¬
filden ſehnte, ſogar ein unmerklicher Rand um die
Augen, der von Augenſchmerzen oder vielleicht noch
tiefer gezeichnet war, alle dieſe Reize, die zu Fun¬
ken wurden, welche in den getrockneten Zunder des
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/262>, abgerufen am 22.11.2024.
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