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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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er nicht blind gewesen -- er würde jetzt vielleicht
später es thun, wäre nicht wieder seine Blindheit
und -- Matthieu schuld.

Der Lord mußte sich nämlich in seinen blinden
Jahren die Briefe, die er aus London von seiner
Niece über die drei Infanten erhielt, von einem
Freunde vorlesen lassen, dem er trauen konnte. Er
konnt' aber keinem trauen. Aber eine Freundin fand
er aus, die seines Zutrauens würdig war und die
-- Klotilde hieß. Er, der seine Geheimnisse nicht
wie ein Jüngling verschleuderte, durft' es doch wa¬
gen, Klotilden in den Besitz seiner wichtigsten zu
setzen, indem er sie zur Buchhalterin und Vorleserin
der Briefe seiner Niece d. h. ihrer Mutter machte.
Ueberhaupt hielt er die weibliche Verschwiegenheit
für größer als unsre -- nämlich in wichtigen Din¬
gen und vor der Ehe. Das folgende ist nur seine
Vermuthung: einmal wird Klotilde von der Vorle¬
sung weggerufen -- sie kömmt wieder und überlieset
still den mütterlichen Brief noch einmal, sagt, sie
komme sogleich wieder und geht -- als sie wieder
kommt, behauptet sie, nur einmal weggewesen zu
seyn -- kurz er vermuthet: dieser Matthieu, in des¬
sen Kehle alle mögliche Dialekte stecken, habe das
zweitemal Klotilden nachgespielt und unter ihrem
Kreditiv den Brief gelesen, der zum Glück nur von
Flamin und dessen Schulter-Devise sprach. Da die¬

er nicht blind geweſen — er wuͤrde jetzt vielleicht
ſpaͤter es thun, waͤre nicht wieder ſeine Blindheit
und — Matthieu ſchuld.

Der Lord mußte ſich naͤmlich in ſeinen blinden
Jahren die Briefe, die er aus London von ſeiner
Niece uͤber die drei Infanten erhielt, von einem
Freunde vorleſen laſſen, dem er trauen konnte. Er
konnt' aber keinem trauen. Aber eine Freundin fand
er aus, die ſeines Zutrauens wuͤrdig war und die
— Klotilde hieß. Er, der ſeine Geheimniſſe nicht
wie ein Juͤngling verſchleuderte, durft' es doch wa¬
gen, Klotilden in den Beſitz ſeiner wichtigſten zu
ſetzen, indem er ſie zur Buchhalterin und Vorleſerin
der Briefe ſeiner Niece d. h. ihrer Mutter machte.
Ueberhaupt hielt er die weibliche Verſchwiegenheit
fuͤr groͤßer als unſre — naͤmlich in wichtigen Din¬
gen und vor der Ehe. Das folgende iſt nur ſeine
Vermuthung: einmal wird Klotilde von der Vorle¬
ſung weggerufen — ſie koͤmmt wieder und uͤberlieſet
ſtill den muͤtterlichen Brief noch einmal, ſagt, ſie
komme ſogleich wieder und geht — als ſie wieder
kommt, behauptet ſie, nur einmal weggeweſen zu
ſeyn — kurz er vermuthet: dieſer Matthieu, in deſ¬
ſen Kehle alle moͤgliche Dialekte ſtecken, habe das
zweitemal Klotilden nachgeſpielt und unter ihrem
Kreditiv den Brief geleſen, der zum Gluͤck nur von
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[294/0305] er nicht blind geweſen — er wuͤrde jetzt vielleicht ſpaͤter es thun, waͤre nicht wieder ſeine Blindheit und — Matthieu ſchuld. Der Lord mußte ſich naͤmlich in ſeinen blinden Jahren die Briefe, die er aus London von ſeiner Niece uͤber die drei Infanten erhielt, von einem Freunde vorleſen laſſen, dem er trauen konnte. Er konnt' aber keinem trauen. Aber eine Freundin fand er aus, die ſeines Zutrauens wuͤrdig war und die — Klotilde hieß. Er, der ſeine Geheimniſſe nicht wie ein Juͤngling verſchleuderte, durft' es doch wa¬ gen, Klotilden in den Beſitz ſeiner wichtigſten zu ſetzen, indem er ſie zur Buchhalterin und Vorleſerin der Briefe ſeiner Niece d. h. ihrer Mutter machte. Ueberhaupt hielt er die weibliche Verſchwiegenheit fuͤr groͤßer als unſre — naͤmlich in wichtigen Din¬ gen und vor der Ehe. Das folgende iſt nur ſeine Vermuthung: einmal wird Klotilde von der Vorle¬ ſung weggerufen — ſie koͤmmt wieder und uͤberlieſet ſtill den muͤtterlichen Brief noch einmal, ſagt, ſie komme ſogleich wieder und geht — als ſie wieder kommt, behauptet ſie, nur einmal weggeweſen zu ſeyn — kurz er vermuthet: dieſer Matthieu, in deſ¬ ſen Kehle alle moͤgliche Dialekte ſtecken, habe das zweitemal Klotilden nachgeſpielt und unter ihrem Kreditiv den Brief geleſen, der zum Gluͤck nur von Flamin und deſſen Schulter-Deviſe ſprach. Da die¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/305>, abgerufen am 23.11.2024.