er nicht blind gewesen -- er würde jetzt vielleicht später es thun, wäre nicht wieder seine Blindheit und -- Matthieu schuld.
Der Lord mußte sich nämlich in seinen blinden Jahren die Briefe, die er aus London von seiner Niece über die drei Infanten erhielt, von einem Freunde vorlesen lassen, dem er trauen konnte. Er konnt' aber keinem trauen. Aber eine Freundin fand er aus, die seines Zutrauens würdig war und die -- Klotilde hieß. Er, der seine Geheimnisse nicht wie ein Jüngling verschleuderte, durft' es doch wa¬ gen, Klotilden in den Besitz seiner wichtigsten zu setzen, indem er sie zur Buchhalterin und Vorleserin der Briefe seiner Niece d. h. ihrer Mutter machte. Ueberhaupt hielt er die weibliche Verschwiegenheit für größer als unsre -- nämlich in wichtigen Din¬ gen und vor der Ehe. Das folgende ist nur seine Vermuthung: einmal wird Klotilde von der Vorle¬ sung weggerufen -- sie kömmt wieder und überlieset still den mütterlichen Brief noch einmal, sagt, sie komme sogleich wieder und geht -- als sie wieder kommt, behauptet sie, nur einmal weggewesen zu seyn -- kurz er vermuthet: dieser Matthieu, in des¬ sen Kehle alle mögliche Dialekte stecken, habe das zweitemal Klotilden nachgespielt und unter ihrem Kreditiv den Brief gelesen, der zum Glück nur von Flamin und dessen Schulter-Devise sprach. Da die¬
er nicht blind geweſen — er wuͤrde jetzt vielleicht ſpaͤter es thun, waͤre nicht wieder ſeine Blindheit und — Matthieu ſchuld.
Der Lord mußte ſich naͤmlich in ſeinen blinden Jahren die Briefe, die er aus London von ſeiner Niece uͤber die drei Infanten erhielt, von einem Freunde vorleſen laſſen, dem er trauen konnte. Er konnt' aber keinem trauen. Aber eine Freundin fand er aus, die ſeines Zutrauens wuͤrdig war und die — Klotilde hieß. Er, der ſeine Geheimniſſe nicht wie ein Juͤngling verſchleuderte, durft' es doch wa¬ gen, Klotilden in den Beſitz ſeiner wichtigſten zu ſetzen, indem er ſie zur Buchhalterin und Vorleſerin der Briefe ſeiner Niece d. h. ihrer Mutter machte. Ueberhaupt hielt er die weibliche Verſchwiegenheit fuͤr groͤßer als unſre — naͤmlich in wichtigen Din¬ gen und vor der Ehe. Das folgende iſt nur ſeine Vermuthung: einmal wird Klotilde von der Vorle¬ ſung weggerufen — ſie koͤmmt wieder und uͤberlieſet ſtill den muͤtterlichen Brief noch einmal, ſagt, ſie komme ſogleich wieder und geht — als ſie wieder kommt, behauptet ſie, nur einmal weggeweſen zu ſeyn — kurz er vermuthet: dieſer Matthieu, in deſ¬ ſen Kehle alle moͤgliche Dialekte ſtecken, habe das zweitemal Klotilden nachgeſpielt und unter ihrem Kreditiv den Brief geleſen, der zum Gluͤck nur von Flamin und deſſen Schulter-Deviſe ſprach. Da die¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0305"n="294"/>
er nicht blind geweſen — er wuͤrde jetzt vielleicht<lb/>ſpaͤter es thun, waͤre nicht wieder ſeine Blindheit<lb/>
und — Matthieu ſchuld.</p><lb/><p>Der Lord mußte ſich naͤmlich in ſeinen blinden<lb/>
Jahren die Briefe, die er aus London von ſeiner<lb/>
Niece uͤber die drei Infanten erhielt, von einem<lb/>
Freunde vorleſen laſſen, dem er trauen konnte. Er<lb/>
konnt' aber keinem trauen. Aber eine Freundin fand<lb/>
er aus, die ſeines Zutrauens wuͤrdig war und die<lb/>— Klotilde hieß. Er, der ſeine Geheimniſſe nicht<lb/>
wie ein Juͤngling verſchleuderte, durft' es doch wa¬<lb/>
gen, Klotilden in den Beſitz ſeiner wichtigſten zu<lb/>ſetzen, indem er ſie zur Buchhalterin und Vorleſerin<lb/>
der Briefe ſeiner Niece d. h. ihrer Mutter machte.<lb/>
Ueberhaupt hielt er die weibliche Verſchwiegenheit<lb/>
fuͤr groͤßer als unſre — naͤmlich in wichtigen Din¬<lb/>
gen und vor der Ehe. Das folgende iſt nur ſeine<lb/>
Vermuthung: einmal wird Klotilde von der Vorle¬<lb/>ſung weggerufen —ſie koͤmmt wieder und uͤberlieſet<lb/>ſtill den muͤtterlichen Brief noch einmal, ſagt, ſie<lb/>
komme ſogleich wieder und geht — als ſie wieder<lb/>
kommt, behauptet ſie, nur einmal weggeweſen zu<lb/>ſeyn — kurz er vermuthet: dieſer Matthieu, in deſ¬<lb/>ſen Kehle alle moͤgliche Dialekte ſtecken, habe das<lb/>
zweitemal Klotilden nachgeſpielt und unter ihrem<lb/>
Kreditiv den Brief geleſen, der zum Gluͤck nur von<lb/>
Flamin und deſſen Schulter-Deviſe ſprach. Da die¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[294/0305]
er nicht blind geweſen — er wuͤrde jetzt vielleicht
ſpaͤter es thun, waͤre nicht wieder ſeine Blindheit
und — Matthieu ſchuld.
Der Lord mußte ſich naͤmlich in ſeinen blinden
Jahren die Briefe, die er aus London von ſeiner
Niece uͤber die drei Infanten erhielt, von einem
Freunde vorleſen laſſen, dem er trauen konnte. Er
konnt' aber keinem trauen. Aber eine Freundin fand
er aus, die ſeines Zutrauens wuͤrdig war und die
— Klotilde hieß. Er, der ſeine Geheimniſſe nicht
wie ein Juͤngling verſchleuderte, durft' es doch wa¬
gen, Klotilden in den Beſitz ſeiner wichtigſten zu
ſetzen, indem er ſie zur Buchhalterin und Vorleſerin
der Briefe ſeiner Niece d. h. ihrer Mutter machte.
Ueberhaupt hielt er die weibliche Verſchwiegenheit
fuͤr groͤßer als unſre — naͤmlich in wichtigen Din¬
gen und vor der Ehe. Das folgende iſt nur ſeine
Vermuthung: einmal wird Klotilde von der Vorle¬
ſung weggerufen — ſie koͤmmt wieder und uͤberlieſet
ſtill den muͤtterlichen Brief noch einmal, ſagt, ſie
komme ſogleich wieder und geht — als ſie wieder
kommt, behauptet ſie, nur einmal weggeweſen zu
ſeyn — kurz er vermuthet: dieſer Matthieu, in deſ¬
ſen Kehle alle moͤgliche Dialekte ſtecken, habe das
zweitemal Klotilden nachgeſpielt und unter ihrem
Kreditiv den Brief geleſen, der zum Gluͤck nur von
Flamin und deſſen Schulter-Deviſe ſprach. Da die¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/305>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.