kührlich auf die Knie und sagte: o mein Lehrer, mein Vater -- o du Engel, liebst du mich denn noch so sehr? -- Aber er weinte zu sehr und seine Worte waren unverständlich und erstarben im Her¬ zen. . . .
Ohne zu antworten legte Emanuel die Hand auf das Haupt des knieenden Schülers und wendete sein verklärtes Auge gegen den schimmernden Him¬ mel und sagte mit feierlicher Stimme: "dieses Haupt, du Ewiger, weiht sich heute dir in dieser großen Nacht -- Nur deine zweite Welt fülle die¬ ses Haupt und dieses Herz aus -- und die kleine dunkle Erde befriedig' es nie -- O mein Horion! hier auf diesem Berge, auf dem ich über ein Jahr aus der Erde ziehe, beschwör' ich dich, bei der gro¬ ßen zweiten Welt über uns, bei allen großen Gedan¬ ken, womit dir jetzt der Ewige in dir erscheint, be¬ schwör' ich dich, daß du gut bleibst, auch wenn ich lang' gestorben bin.
Emanuel knieete zu ihm nieder, hielt den Er¬ schöpften und neigte sich an sein erblassendes Ange¬ sicht und sagte leiser und betend: "mein Geliebter! " -- Geliebter wenn wir todt sind, in "der zweiten Welt scheid' uns Gott nie, nie mich "und dich!" -- Er weinte nicht, aber konnte doch
nicht
kuͤhrlich auf die Knie und ſagte: o mein Lehrer, mein Vater — o du Engel, liebſt du mich denn noch ſo ſehr? — Aber er weinte zu ſehr und ſeine Worte waren unverſtaͤndlich und erſtarben im Her¬ zen. . . .
Ohne zu antworten legte Emanuel die Hand auf das Haupt des knieenden Schuͤlers und wendete ſein verklaͤrtes Auge gegen den ſchimmernden Him¬ mel und ſagte mit feierlicher Stimme: »dieſes Haupt, du Ewiger, weiht ſich heute dir in dieſer großen Nacht — Nur deine zweite Welt fuͤlle die¬ ſes Haupt und dieſes Herz aus — und die kleine dunkle Erde befriedig' es nie — O mein Horion! hier auf dieſem Berge, auf dem ich uͤber ein Jahr aus der Erde ziehe, beſchwoͤr' ich dich, bei der gro¬ ßen zweiten Welt uͤber uns, bei allen großen Gedan¬ ken, womit dir jetzt der Ewige in dir erſcheint, be¬ ſchwoͤr' ich dich, daß du gut bleibſt, auch wenn ich lang' geſtorben bin.
Emanuel knieete zu ihm nieder, hielt den Er¬ ſchoͤpften und neigte ſich an ſein erblaſſendes Ange¬ ſicht und ſagte leiſer und betend: »mein Geliebter! » — Geliebter wenn wir todt ſind, in »der zweiten Welt ſcheid' uns Gott nie, nie mich »und dich!« — Er weinte nicht, aber konnte doch
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kuͤhrlich auf die Knie und ſagte: o mein Lehrer,
mein Vater — o du Engel, liebſt du mich denn
noch ſo ſehr? — Aber er weinte zu ſehr und ſeine
Worte waren unverſtaͤndlich und erſtarben im Her¬
zen. . . .
Ohne zu antworten legte Emanuel die Hand auf
das Haupt des knieenden Schuͤlers und wendete
ſein verklaͤrtes Auge gegen den ſchimmernden Him¬
mel und ſagte mit feierlicher Stimme: »dieſes
Haupt, du Ewiger, weiht ſich heute dir in dieſer
großen Nacht — Nur deine zweite Welt fuͤlle die¬
ſes Haupt und dieſes Herz aus — und die kleine
dunkle Erde befriedig' es nie — O mein Horion!
hier auf dieſem Berge, auf dem ich uͤber ein Jahr
aus der Erde ziehe, beſchwoͤr' ich dich, bei der gro¬
ßen zweiten Welt uͤber uns, bei allen großen Gedan¬
ken, womit dir jetzt der Ewige in dir erſcheint, be¬
ſchwoͤr' ich dich, daß du gut bleibſt, auch wenn ich
lang' geſtorben bin.
Emanuel knieete zu ihm nieder, hielt den Er¬
ſchoͤpften und neigte ſich an ſein erblaſſendes Ange¬
ſicht und ſagte leiſer und betend: »mein Geliebter!
» — Geliebter wenn wir todt ſind, in
»der zweiten Welt ſcheid' uns Gott nie, nie mich
»und dich!« — Er weinte nicht, aber konnte doch
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/331>, abgerufen am 24.11.2024.
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