Welch ein Glück für den Geretteten und für den Retter! -- O so oft ich daran denke, daß das männliche Geschlecht mit dem Stoffe zu den größten göttlichen Wohlthaten beglückt ist, daß es wie ein Gott Augen, Leben, Recht, Wissenschaften austhei¬ len kann, indeß mein Geschlecht sein Herz, das sich nach Wohlthun sehnt, auf kleinere Verdienste, auf eine Thräne, die es abtrocknet, auf eine eigne, die es verbirgt, auf eine geheime Geduld mit Glücklichen und Unglücklichen einschränken muß: so wünsch' ich, möchte doch dieses Geschlecht, das die höchsten Wohlthaten in Händen hat, uns die größte vergön¬ nen, es -- nachzuahmen und Güter in die Hände zu bekommen, die uns beglückten, wenn wir sie ver¬ theilten! -- Jetzt kann ein Weib mit nichts in ihrer Seele groß seyn als nur mit Wünschen.
Ich komme gerade vom freien Himmel herein aus einem kleinen Gartenfeste bei meiner Agathe; und mir ist ordentlich jedes schöne tiefblaue Stück vom Himmel nicht reckt, wenn es nicht über Ihrer Trauerbirke steht, wo Ihr Auge alle seine Schätze und Sonnen aufzählt und meinem Herzen alle Winke der unendlichen Macht und Liebe zeigt. Ich dachte heute im Garten mit einer fast zu traurigen Sehn¬ sucht an Ihr Maienthal: H. Sebastian erinnerte mich noch öfter daran, weil er einen Lehrer gehabt
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Welch ein Gluͤck fuͤr den Geretteten und fuͤr den Retter! — O ſo oft ich daran denke, daß das maͤnnliche Geſchlecht mit dem Stoffe zu den groͤßten goͤttlichen Wohlthaten begluͤckt iſt, daß es wie ein Gott Augen, Leben, Recht, Wiſſenſchaften austhei¬ len kann, indeß mein Geſchlecht ſein Herz, das ſich nach Wohlthun ſehnt, auf kleinere Verdienſte, auf eine Thraͤne, die es abtrocknet, auf eine eigne, die es verbirgt, auf eine geheime Geduld mit Gluͤcklichen und Ungluͤcklichen einſchraͤnken muß: ſo wuͤnſch' ich, moͤchte doch dieſes Geſchlecht, das die hoͤchſten Wohlthaten in Haͤnden hat, uns die groͤßte vergoͤn¬ nen, es — nachzuahmen und Guͤter in die Haͤnde zu bekommen, die uns begluͤckten, wenn wir ſie ver¬ theilten! — Jetzt kann ein Weib mit nichts in ihrer Seele groß ſeyn als nur mit Wuͤnſchen.
Ich komme gerade vom freien Himmel herein aus einem kleinen Gartenfeſte bei meiner Agathe; und mir iſt ordentlich jedes ſchoͤne tiefblaue Stuͤck vom Himmel nicht reckt, wenn es nicht uͤber Ihrer Trauerbirke ſteht, wo Ihr Auge alle ſeine Schaͤtze und Sonnen aufzaͤhlt und meinem Herzen alle Winke der unendlichen Macht und Liebe zeigt. Ich dachte heute im Garten mit einer faſt zu traurigen Sehn¬ ſucht an Ihr Maienthal: H. Sebaſtian erinnerte mich noch oͤfter daran, weil er einen Lehrer gehabt
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Welch ein Gluͤck fuͤr den Geretteten und fuͤr den
Retter! — O ſo oft ich daran denke, daß das
maͤnnliche Geſchlecht mit dem Stoffe zu den groͤßten
goͤttlichen Wohlthaten begluͤckt iſt, daß es wie ein
Gott Augen, Leben, Recht, Wiſſenſchaften austhei¬
len kann, indeß mein Geſchlecht ſein Herz, das ſich
nach Wohlthun ſehnt, auf kleinere Verdienſte, auf
eine Thraͤne, die es abtrocknet, auf eine eigne, die
es verbirgt, auf eine geheime Geduld mit Gluͤcklichen
und Ungluͤcklichen einſchraͤnken muß: ſo wuͤnſch' ich,
moͤchte doch dieſes Geſchlecht, das die hoͤchſten
Wohlthaten in Haͤnden hat, uns die groͤßte vergoͤn¬
nen, es — nachzuahmen und Guͤter in die Haͤnde
zu bekommen, die uns begluͤckten, wenn wir ſie ver¬
theilten! — Jetzt kann ein Weib mit nichts in ihrer
Seele groß ſeyn als nur mit Wuͤnſchen.
Ich komme gerade vom freien Himmel herein
aus einem kleinen Gartenfeſte bei meiner Agathe;
und mir iſt ordentlich jedes ſchoͤne tiefblaue Stuͤck
vom Himmel nicht reckt, wenn es nicht uͤber Ihrer
Trauerbirke ſteht, wo Ihr Auge alle ſeine Schaͤtze
und Sonnen aufzaͤhlt und meinem Herzen alle Winke
der unendlichen Macht und Liebe zeigt. Ich dachte
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ſucht an Ihr Maienthal: H. Sebaſtian erinnerte
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/350>, abgerufen am 22.11.2024.
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