einzige, dieser unersetzliche Mensch, der in seinem gro¬ ßen Herzen doch so viel Liebe für dich bewahret, geht dahin und erscheint nie wieder. -- Ach, da noch dazu gerade jetzt Emanuel, der still, in den Himmel versenkt und wie ein Hingeschiedener neben ihm gelegen, seine Lage wegen des schmerzlichen und gedrückten Athem¬ holens wechselte, aber mit einem heitern von den Bruststichen nicht getrofnen Angesicht: so fuhr eine kalte Hand in Viktors geschwollnes Herz und wen¬ dete sich darin um und sein Blut gerann an ihr an und er sagte, ohne ihn ansehen zu können, schwach, bittend, gebrochen: "stirb nicht nach einem Jahr, "mein theurer Emanuel -- -- wünsch' es nicht!"
Der Genius der Nacht stand bisher unsichtbar vor Emanuel und goß hohe Entzückungen in seine Brust, aber keine Leidenschaften und er sagte: "wir "sind nicht allein -- meine Seele fühlt das Vorbei¬ "gehen ihrer Verwandten und richtet sich auf -- "unter der Erde ist Schlaf, über der Erde ist "Traum, aber zwischen dem Schlaf und Traum seh' "ich Lichtaugen wandeln wie Sterne -- Ein kühles "Wehen kömmt vom Meer der Ewigkeit über die "glühende Erde -- Mein Herz steigt auf und will " abbrechen vom Leben -- Es ist alles so groß um "mich, wie wenn Gott durch die Nacht ginge -- "Geister! fasset meinen Geist, er windet sich nach "euch und zieht ihn hinüber. . . ."
einzige, dieſer unerſetzliche Menſch, der in ſeinem gro¬ ßen Herzen doch ſo viel Liebe fuͤr dich bewahret, geht dahin und erſcheint nie wieder. — Ach, da noch dazu gerade jetzt Emanuel, der ſtill, in den Himmel verſenkt und wie ein Hingeſchiedener neben ihm gelegen, ſeine Lage wegen des ſchmerzlichen und gedruͤckten Athem¬ holens wechſelte, aber mit einem heitern von den Bruſtſtichen nicht getrofnen Angeſicht: ſo fuhr eine kalte Hand in Viktors geſchwollnes Herz und wen¬ dete ſich darin um und ſein Blut gerann an ihr an und er ſagte, ohne ihn anſehen zu koͤnnen, ſchwach, bittend, gebrochen: »ſtirb nicht nach einem Jahr, »mein theurer Emanuel — — wuͤnſch' es nicht!«
Der Genius der Nacht ſtand bisher unſichtbar vor Emanuel und goß hohe Entzuͤckungen in ſeine Bruſt, aber keine Leidenſchaften und er ſagte: »wir »ſind nicht allein — meine Seele fuͤhlt das Vorbei¬ «gehen ihrer Verwandten und richtet ſich auf — »unter der Erde iſt Schlaf, uͤber der Erde iſt »Traum, aber zwiſchen dem Schlaf und Traum ſeh' »ich Lichtaugen wandeln wie Sterne — Ein kuͤhles »Wehen koͤmmt vom Meer der Ewigkeit uͤber die »gluͤhende Erde — Mein Herz ſteigt auf und will » abbrechen vom Leben — Es iſt alles ſo groß um »mich, wie wenn Gott durch die Nacht ginge — »Geiſter! faſſet meinen Geiſt, er windet ſich nach »euch und zieht ihn hinuͤber. . . .«
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einzige, dieſer unerſetzliche Menſch, der in ſeinem gro¬
ßen Herzen doch ſo viel Liebe fuͤr dich bewahret, geht
dahin und erſcheint nie wieder. — Ach, da noch dazu
gerade jetzt Emanuel, der ſtill, in den Himmel verſenkt
und wie ein Hingeſchiedener neben ihm gelegen, ſeine
Lage wegen des ſchmerzlichen und gedruͤckten Athem¬
holens wechſelte, aber mit einem heitern von den
Bruſtſtichen nicht getrofnen Angeſicht: ſo fuhr eine
kalte Hand in Viktors geſchwollnes Herz und wen¬
dete ſich darin um und ſein Blut gerann an ihr an
und er ſagte, ohne ihn anſehen zu koͤnnen, ſchwach,
bittend, gebrochen: »ſtirb nicht nach einem Jahr,
»mein theurer Emanuel — — wuͤnſch' es nicht!«
Der Genius der Nacht ſtand bisher unſichtbar
vor Emanuel und goß hohe Entzuͤckungen in ſeine
Bruſt, aber keine Leidenſchaften und er ſagte: »wir
»ſind nicht allein — meine Seele fuͤhlt das Vorbei¬
«gehen ihrer Verwandten und richtet ſich auf —
»unter der Erde iſt Schlaf, uͤber der Erde iſt
»Traum, aber zwiſchen dem Schlaf und Traum ſeh'
»ich Lichtaugen wandeln wie Sterne — Ein kuͤhles
»Wehen koͤmmt vom Meer der Ewigkeit uͤber die
»gluͤhende Erde — Mein Herz ſteigt auf und will
» abbrechen vom Leben — Es iſt alles ſo groß um
»mich, wie wenn Gott durch die Nacht ginge —
»Geiſter! faſſet meinen Geiſt, er windet ſich nach
»euch und zieht ihn hinuͤber. . . .«
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/362>, abgerufen am 22.11.2024.
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