Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

August; und ich bin gewiß, Viktor wäre am 14ten
nicht mehr in St. Lüne gewesen, wenn nicht der
Henker am 8ten einen Tyroler hingeführt hätte.

Es ist der nämliche, der vorgestern in Scheerau
mit einer wächsernen Dienerschaft, die er halb aus
bossirten Reichsständen halb aus Dito-Gelehrten zu¬
sammengesetzt hatte, seinen Einzug hielt und mit
den Wachshänden dieser Zwillingsbrüder des Men¬
schen uns die Gelder aus dem Beutel nahm. Es
ist dumm, daß mir der Spitz den heutigen Hunds¬
tag nicht vorgestern gebracht: ich hätte den Kerl,
der in St. Lüne Viktor und den Kaplan bossirte,
selber ausgefragt, wie Viktor heisse und Eymann
und St. Lüne selbst. Am Ende reif ich aus edler
und biographischer Neugierde diesem Menschen-Ar¬
chitekten, der uns mit schauerlichen Wiederscheinen
unsers kleinen Wesens umringt, noch nach. --

Viktor mußte also wieder verharren: denn er
ließ sich und den Kaplan in Wachs nachbacken, um
erstlich diesem, der alle Abgüsse, Puppen und Ma¬
rionetten kindisch liebte, und zweitens um der Fa¬
milie, die gern in sein erledigtes Zimmer den wäch¬
sernen Postiche-Viktor einquartiren wollte, einen
größern Gefallen zu thun als sich selbst. Denn ihn
schauerte vor diesen fleischfarbnen Schatten seines
Ichs. Schon in der Kindheit streiften unter allen
Gespenstergeschichten die von Leuten, die sich selber

Hesperus. l. Th. A a

Auguſt; und ich bin gewiß, Viktor waͤre am 14ten
nicht mehr in St. Luͤne geweſen, wenn nicht der
Henker am 8ten einen Tyroler hingefuͤhrt haͤtte.

Es iſt der naͤmliche, der vorgeſtern in Scheerau
mit einer waͤchſernen Dienerſchaft, die er halb aus
boſſirten Reichsſtaͤnden halb aus Dito-Gelehrten zu¬
ſammengeſetzt hatte, ſeinen Einzug hielt und mit
den Wachshaͤnden dieſer Zwillingsbruͤder des Men¬
ſchen uns die Gelder aus dem Beutel nahm. Es
iſt dumm, daß mir der Spitz den heutigen Hunds¬
tag nicht vorgeſtern gebracht: ich haͤtte den Kerl,
der in St. Luͤne Viktor und den Kaplan boſſirte,
ſelber ausgefragt, wie Viktor heiſſe und Eymann
und St. Luͤne ſelbſt. Am Ende reif ich aus edler
und biographiſcher Neugierde dieſem Menſchen-Ar¬
chitekten, der uns mit ſchauerlichen Wiederſcheinen
unſers kleinen Weſens umringt, noch nach. —

Viktor mußte alſo wieder verharren: denn er
ließ ſich und den Kaplan in Wachs nachbacken, um
erſtlich dieſem, der alle Abguͤſſe, Puppen und Ma¬
rionetten kindiſch liebte, und zweitens um der Fa¬
milie, die gern in ſein erledigtes Zimmer den waͤch¬
ſernen Poſtiche-Viktor einquartiren wollte, einen
groͤßern Gefallen zu thun als ſich ſelbſt. Denn ihn
ſchauerte vor dieſen fleiſchfarbnen Schatten ſeines
Ichs. Schon in der Kindheit ſtreiften unter allen
Geſpenſtergeſchichten die von Leuten, die ſich ſelber

Heſperus. l. Th. A a
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0380" n="369"/>
Augu&#x017F;t; und ich bin gewiß, Viktor wa&#x0364;re am 14ten<lb/>
nicht mehr in St. Lu&#x0364;ne gewe&#x017F;en, wenn nicht der<lb/>
Henker am 8ten einen Tyroler hingefu&#x0364;hrt ha&#x0364;tte.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t der na&#x0364;mliche, der vorge&#x017F;tern in Scheerau<lb/>
mit einer wa&#x0364;ch&#x017F;ernen Diener&#x017F;chaft, die er halb aus<lb/>
bo&#x017F;&#x017F;irten Reichs&#x017F;ta&#x0364;nden halb aus Dito-Gelehrten zu¬<lb/>
&#x017F;ammenge&#x017F;etzt hatte, &#x017F;einen Einzug hielt und mit<lb/>
den Wachsha&#x0364;nden die&#x017F;er Zwillingsbru&#x0364;der des Men¬<lb/>
&#x017F;chen uns die Gelder aus dem Beutel nahm. Es<lb/>
i&#x017F;t dumm, daß mir der Spitz den heutigen Hunds¬<lb/>
tag nicht vorge&#x017F;tern gebracht: ich ha&#x0364;tte den Kerl,<lb/>
der in St. Lu&#x0364;ne Viktor und den Kaplan bo&#x017F;&#x017F;irte,<lb/>
&#x017F;elber ausgefragt, wie Viktor hei&#x017F;&#x017F;e und Eymann<lb/>
und St. Lu&#x0364;ne &#x017F;elb&#x017F;t. Am Ende reif ich aus edler<lb/>
und biographi&#x017F;cher Neugierde die&#x017F;em Men&#x017F;chen-Ar¬<lb/>
chitekten, der uns mit &#x017F;chauerlichen Wieder&#x017F;cheinen<lb/>
un&#x017F;ers kleinen We&#x017F;ens umringt, noch nach. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Viktor mußte al&#x017F;o wieder verharren: denn er<lb/>
ließ &#x017F;ich und den Kaplan in Wachs nachbacken, um<lb/>
er&#x017F;tlich die&#x017F;em, der alle Abgu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, Puppen und Ma¬<lb/>
rionetten kindi&#x017F;ch liebte, und zweitens um der Fa¬<lb/>
milie, die gern in &#x017F;ein erledigtes Zimmer den wa&#x0364;ch¬<lb/>
&#x017F;ernen Po&#x017F;tiche-Viktor einquartiren wollte, einen<lb/>
gro&#x0364;ßern Gefallen zu thun als &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t. Denn ihn<lb/>
&#x017F;chauerte vor die&#x017F;en flei&#x017F;chfarbnen Schatten &#x017F;eines<lb/>
Ichs. Schon in der Kindheit &#x017F;treiften unter allen<lb/>
Ge&#x017F;pen&#x017F;terge&#x017F;chichten die von Leuten, die &#x017F;ich &#x017F;elber<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">He&#x017F;perus. <hi rendition="#aq">l</hi>. Th. A a<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[369/0380] Auguſt; und ich bin gewiß, Viktor waͤre am 14ten nicht mehr in St. Luͤne geweſen, wenn nicht der Henker am 8ten einen Tyroler hingefuͤhrt haͤtte. Es iſt der naͤmliche, der vorgeſtern in Scheerau mit einer waͤchſernen Dienerſchaft, die er halb aus boſſirten Reichsſtaͤnden halb aus Dito-Gelehrten zu¬ ſammengeſetzt hatte, ſeinen Einzug hielt und mit den Wachshaͤnden dieſer Zwillingsbruͤder des Men¬ ſchen uns die Gelder aus dem Beutel nahm. Es iſt dumm, daß mir der Spitz den heutigen Hunds¬ tag nicht vorgeſtern gebracht: ich haͤtte den Kerl, der in St. Luͤne Viktor und den Kaplan boſſirte, ſelber ausgefragt, wie Viktor heiſſe und Eymann und St. Luͤne ſelbſt. Am Ende reif ich aus edler und biographiſcher Neugierde dieſem Menſchen-Ar¬ chitekten, der uns mit ſchauerlichen Wiederſcheinen unſers kleinen Weſens umringt, noch nach. — Viktor mußte alſo wieder verharren: denn er ließ ſich und den Kaplan in Wachs nachbacken, um erſtlich dieſem, der alle Abguͤſſe, Puppen und Ma¬ rionetten kindiſch liebte, und zweitens um der Fa¬ milie, die gern in ſein erledigtes Zimmer den waͤch¬ ſernen Poſtiche-Viktor einquartiren wollte, einen groͤßern Gefallen zu thun als ſich ſelbſt. Denn ihn ſchauerte vor dieſen fleiſchfarbnen Schatten ſeines Ichs. Schon in der Kindheit ſtreiften unter allen Geſpenſtergeſchichten die von Leuten, die ſich ſelber Heſperus. l. Th. A a

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/380
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/380>, abgerufen am 21.06.2024.