seinem aufgerissenen schmerzenden Innern war bloß der Gedanke noch sanft und balsamisch; "jetzt in "der Nacht kann ich weinen so viel ich will und "niemand steht mein zerrissenes Angesicht, meine zer¬ "rissene Seele, mein zerrissenes Glück."
Und als er dachte: "ach Emanuel, wenn du mich "heute so sähest" -- konnt' er sich kaum mehr halten.
Er floh mit zurückgestemmten Thränen gleichgül¬ tig wer es sehe oder nicht, aus dem Garten, über den ein melancholischer Engel eine große Trauerfahne fliegen ließ und Leichenmusik. -- Er stieß sich wund an einer steinernen Gartenwalze, womit man die be¬ regneten Graßspitzen und Blümgen nieder¬ quetscht -- er weinte noch nicht, aber ach! auf der Warte da wollt' er sich sättigen und tränken mit reichlichem Schmerz -- er wiederholte immer "aber sie blieb getreu und sagte Nein, Nein, Nein" -- die Konzerttöne wehten ihm nach wie Feuer dem, der es besprochen -- er watete durch nasse entschlummerte Fluren die ihre Blumen verhüllten, und schneller als er strichen auf der Erde die Schattenrisse des oben vom Winde verfolgten Gewölkes dahin -- er stand an der Warte, hielt jede Zähre noch und rannte hinauf -- er warf sich auf die Bank, wo er Klotilden zum erstenmale im weißen Gewand von Ferne gesehen -- "Ruhe du auch, Horion!" rief sie
ſeinem aufgeriſſenen ſchmerzenden Innern war bloß der Gedanke noch ſanft und balſamiſch; »jetzt in »der Nacht kann ich weinen ſo viel ich will und »niemand ſteht mein zerriſſenes Angeſicht, meine zer¬ »riſſene Seele, mein zerriſſenes Gluͤck.«
Und als er dachte: »ach Emanuel, wenn du mich »heute ſo ſaͤheſt« — konnt' er ſich kaum mehr halten.
Er floh mit zuruͤckgeſtemmten Thraͤnen gleichguͤl¬ tig wer es ſehe oder nicht, aus dem Garten, uͤber den ein melancholiſcher Engel eine große Trauerfahne fliegen ließ und Leichenmuſik. — Er ſtieß ſich wund an einer ſteinernen Gartenwalze, womit man die be¬ regneten Graßſpitzen und Bluͤmgen nieder¬ quetſcht — er weinte noch nicht, aber ach! auf der Warte da wollt' er ſich ſaͤttigen und traͤnken mit reichlichem Schmerz — er wiederholte immer »aber ſie blieb getreu und ſagte Nein, Nein, Nein« — die Konzerttoͤne wehten ihm nach wie Feuer dem, der es beſprochen — er watete durch naſſe entſchlummerte Fluren die ihre Blumen verhuͤllten, und ſchneller als er ſtrichen auf der Erde die Schattenriſſe des oben vom Winde verfolgten Gewoͤlkes dahin — er ſtand an der Warte, hielt jede Zaͤhre noch und rannte hinauf — er warf ſich auf die Bank, wo er Klotilden zum erſtenmale im weißen Gewand von Ferne geſehen — »Ruhe du auch, Horion!« rief ſie
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ſeinem aufgeriſſenen ſchmerzenden Innern war bloß
der Gedanke noch ſanft und balſamiſch; »jetzt in
»der Nacht kann ich weinen ſo viel ich will und
»niemand ſteht mein zerriſſenes Angeſicht, meine zer¬
»riſſene Seele, mein zerriſſenes Gluͤck.«
Und als er dachte: »ach Emanuel, wenn du mich
»heute ſo ſaͤheſt« — konnt' er ſich kaum mehr
halten.
Er floh mit zuruͤckgeſtemmten Thraͤnen gleichguͤl¬
tig wer es ſehe oder nicht, aus dem Garten, uͤber
den ein melancholiſcher Engel eine große Trauerfahne
fliegen ließ und Leichenmuſik. — Er ſtieß ſich wund
an einer ſteinernen Gartenwalze, womit man die be¬
regneten Graßſpitzen und Bluͤmgen nieder¬
quetſcht — er weinte noch nicht, aber ach! auf der
Warte da wollt' er ſich ſaͤttigen und traͤnken mit
reichlichem Schmerz — er wiederholte immer »aber
ſie blieb getreu und ſagte Nein, Nein, Nein« — die
Konzerttoͤne wehten ihm nach wie Feuer dem, der es
beſprochen — er watete durch naſſe entſchlummerte
Fluren die ihre Blumen verhuͤllten, und ſchneller
als er ſtrichen auf der Erde die Schattenriſſe des
oben vom Winde verfolgten Gewoͤlkes dahin — er
ſtand an der Warte, hielt jede Zaͤhre noch und
rannte hinauf — er warf ſich auf die Bank, wo er
Klotilden zum erſtenmale im weißen Gewand von
Ferne geſehen — »Ruhe du auch, Horion!« rief ſie
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/102>, abgerufen am 22.11.2024.
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