vor dir ist: so macht ihm dieser zweideutige Wech¬ sel der Szenen Schmerzen und vielleicht Flecken . . .
Nein, ich will meinen Emanuel nicht belügen -- -- Ach sind denn die Kleinigkeiten und die Stein¬ gen dieses Lebens werth, daß wir darum krumme Gänge wählen, wie die Minirraupe durch die Aest¬ gen ihres Blattes sich zu Krümmungen zwingen läs¬ set? -- Nein, alles was ich gesagt habe, ist wahr; aber ich hätt' es nicht gesagt, wenn nicht andre Schmerzen mich auch auf jene führten; und doch hättest du es mir, du unschuldig kindlich erhaben trauender Lehrer geglaubt. Ach du hälst mich für zu gut . . . o es ist ein weiter ermüdender Schritt von der Bewunderung zur Nachahmung! -- Jetzt aber blick' in mein geöfnetes Herz!
Seitdem ich hier im Todtenhaus meiner kindli¬ chen Freuden, in den Beeten, wo meine Kindheits¬ jahre geblühet und abgeblühet haben, vielleicht mit zu vielen Träumen der Vergangenheit umher gehe; -- und noch mehr: von dem Tage an, wo du mei¬ nem Herzen den Reiz zum Fieber Schlage auf mein ganzes Leben gegeben, seitdem du mir das Leben aufgedeckt, worin sich der Mensch zerblättert, und den dünnen spitzigen Augenblick, auf dem er so schmerzhaft steht, seid jener Abschieds Nacht, w meine Seele groß und meine Thränen unerschöpflich waren, rinnt eine ewige Wunde in mir und der
G 2
vor dir iſt: ſo macht ihm dieſer zweideutige Wech¬ ſel der Szenen Schmerzen und vielleicht Flecken . . .
Nein, ich will meinen Emanuel nicht beluͤgen — — Ach ſind denn die Kleinigkeiten und die Stein¬ gen dieſes Lebens werth, daß wir darum krumme Gaͤnge waͤhlen, wie die Minirraupe durch die Aeſt¬ gen ihres Blattes ſich zu Kruͤmmungen zwingen laͤſ¬ ſet? — Nein, alles was ich geſagt habe, iſt wahr; aber ich haͤtt' es nicht geſagt, wenn nicht andre Schmerzen mich auch auf jene fuͤhrten; und doch haͤtteſt du es mir, du unſchuldig kindlich erhaben trauender Lehrer geglaubt. Ach du haͤlſt mich fuͤr zu gut . . . o es iſt ein weiter ermuͤdender Schritt von der Bewunderung zur Nachahmung! — Jetzt aber blick' in mein geoͤfnetes Herz!
Seitdem ich hier im Todtenhaus meiner kindli¬ chen Freuden, in den Beeten, wo meine Kindheits¬ jahre gebluͤhet und abgebluͤhet haben, vielleicht mit zu vielen Traͤumen der Vergangenheit umher gehe; — und noch mehr: von dem Tage an, wo du mei¬ nem Herzen den Reiz zum Fieber Schlage auf mein ganzes Leben gegeben, ſeitdem du mir das Leben aufgedeckt, worin ſich der Menſch zerblaͤttert, und den duͤnnen ſpitzigen Augenblick, auf dem er ſo ſchmerzhaft ſteht, ſeid jener Abſchieds Nacht, w meine Seele groß und meine Thraͤnen unerſchoͤpflich waren, rinnt eine ewige Wunde in mir und der
G 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0109"n="99"/>
vor dir iſt: ſo macht ihm dieſer zweideutige Wech¬<lb/>ſel der Szenen Schmerzen und vielleicht Flecken . . .</p><lb/><p>Nein, ich will meinen Emanuel nicht beluͤgen —<lb/>— Ach ſind denn die Kleinigkeiten und die Stein¬<lb/>
gen dieſes Lebens werth, daß wir darum krumme<lb/>
Gaͤnge waͤhlen, wie die Minirraupe durch die Aeſt¬<lb/>
gen ihres Blattes ſich zu Kruͤmmungen zwingen laͤſ¬<lb/>ſet? — Nein, alles was ich geſagt habe, iſt wahr;<lb/>
aber ich haͤtt' es nicht geſagt, wenn nicht andre<lb/>
Schmerzen mich auch auf jene fuͤhrten; und doch<lb/>
haͤtteſt du es mir, du unſchuldig kindlich erhaben<lb/>
trauender Lehrer geglaubt. Ach du haͤlſt mich fuͤr<lb/>
zu gut . . . o es iſt ein weiter ermuͤdender Schritt<lb/>
von der Bewunderung zur Nachahmung! — Jetzt<lb/>
aber blick' in mein geoͤfnetes Herz!</p><lb/><p>Seitdem ich hier im Todtenhaus meiner kindli¬<lb/>
chen Freuden, in den Beeten, wo meine Kindheits¬<lb/>
jahre gebluͤhet und abgebluͤhet haben, vielleicht mit<lb/>
zu vielen Traͤumen der Vergangenheit umher gehe;<lb/>— und noch mehr: von dem Tage an, wo du mei¬<lb/>
nem Herzen den Reiz zum Fieber Schlage auf mein<lb/>
ganzes Leben gegeben, ſeitdem du mir das Leben<lb/>
aufgedeckt, worin ſich der Menſch zerblaͤttert, und<lb/>
den duͤnnen ſpitzigen Augenblick, auf dem er ſo<lb/>ſchmerzhaft ſteht, ſeid jener Abſchieds Nacht, w<lb/>
meine Seele groß und meine Thraͤnen unerſchoͤpflich<lb/>
waren, rinnt eine ewige Wunde in mir und der<lb/><fwplace="bottom"type="sig">G 2<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[99/0109]
vor dir iſt: ſo macht ihm dieſer zweideutige Wech¬
ſel der Szenen Schmerzen und vielleicht Flecken . . .
Nein, ich will meinen Emanuel nicht beluͤgen —
— Ach ſind denn die Kleinigkeiten und die Stein¬
gen dieſes Lebens werth, daß wir darum krumme
Gaͤnge waͤhlen, wie die Minirraupe durch die Aeſt¬
gen ihres Blattes ſich zu Kruͤmmungen zwingen laͤſ¬
ſet? — Nein, alles was ich geſagt habe, iſt wahr;
aber ich haͤtt' es nicht geſagt, wenn nicht andre
Schmerzen mich auch auf jene fuͤhrten; und doch
haͤtteſt du es mir, du unſchuldig kindlich erhaben
trauender Lehrer geglaubt. Ach du haͤlſt mich fuͤr
zu gut . . . o es iſt ein weiter ermuͤdender Schritt
von der Bewunderung zur Nachahmung! — Jetzt
aber blick' in mein geoͤfnetes Herz!
Seitdem ich hier im Todtenhaus meiner kindli¬
chen Freuden, in den Beeten, wo meine Kindheits¬
jahre gebluͤhet und abgebluͤhet haben, vielleicht mit
zu vielen Traͤumen der Vergangenheit umher gehe;
— und noch mehr: von dem Tage an, wo du mei¬
nem Herzen den Reiz zum Fieber Schlage auf mein
ganzes Leben gegeben, ſeitdem du mir das Leben
aufgedeckt, worin ſich der Menſch zerblaͤttert, und
den duͤnnen ſpitzigen Augenblick, auf dem er ſo
ſchmerzhaft ſteht, ſeid jener Abſchieds Nacht, w
meine Seele groß und meine Thraͤnen unerſchoͤpflich
waren, rinnt eine ewige Wunde in mir und der
G 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/109>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.