Väter -- was soll man mit seinem Enthusiasmus für euer Geschlecht machen, wenn man durch deut¬ sche Städte reiset, wo jeder Reichste oder Vornehm¬ ste, und wenn er ein weitläuftiger Anverwandter vom Teufel selber wäre, auf dreißig Häuser mit dem Finger zeigen und sagen kann: ich weiß nicht soll ich aus dem perlfarbenen oder nußfarbenen, oder stahlgrünen Hause eine heirathen: offen sind die Kaufläden alle?" -- Wie, ihr Mädgen, ist denn euer Herz so wenig werth, daß ihrs wie alte Klei¬ der, nach jeder Mode, nach jeder Brust zuschneidet und wirds denn wie eine sinesische Kugel, bald groß bald wintzig um in eines männlichen Herzens Kugel¬ form, und Ehering-Futteral einzupassen? -- "Es "muß wohl, wenn man nicht sitzen bleiben will, wie die heilige NN." antworten mir die, denen ich nicht antworte, weil ich mich mit Verachtung wegwende von ihnen, um der sogenannten heiligen NN. zu sa¬ gen: "Verlassene, aber Geduldige! Verkannte und "Verblühte! Erinnere dich der Zeiten nicht, wo du "noch auf bessere hoftest als die jetzigen und bereue "den edeln Stolz deines Herzens nie! Es ist nicht "allemal Pflicht, zu heirathen, aber es ist allemal "Pflicht, sich nichts zu vergeben, auf Kosten der "Ehre nie glücklich zu werden und Ehelosigkeit nicht "durch Ehrlosigkeit zu vermeiden. Unbewunderte, "einsame Heldin! in deiner letzten Stunde, wo das
Vaͤter — was ſoll man mit ſeinem Enthuſiasmus fuͤr euer Geſchlecht machen, wenn man durch deut¬ ſche Staͤdte reiſet, wo jeder Reichſte oder Vornehm¬ ſte, und wenn er ein weitlaͤuftiger Anverwandter vom Teufel ſelber waͤre, auf dreißig Haͤuſer mit dem Finger zeigen und ſagen kann: ich weiß nicht ſoll ich aus dem perlfarbenen oder nußfarbenen, oder ſtahlgruͤnen Hauſe eine heirathen: offen ſind die Kauflaͤden alle?« — Wie, ihr Maͤdgen, iſt denn euer Herz ſo wenig werth, daß ihrs wie alte Klei¬ der, nach jeder Mode, nach jeder Bruſt zuſchneidet und wirds denn wie eine ſineſiſche Kugel, bald groß bald wintzig um in eines maͤnnlichen Herzens Kugel¬ form, und Ehering-Futteral einzupaſſen? — »Es »muß wohl, wenn man nicht ſitzen bleiben will, wie die heilige NN.« antworten mir die, denen ich nicht antworte, weil ich mich mit Verachtung wegwende von ihnen, um der ſogenannten heiligen NN. zu ſa¬ gen: »Verlaſſene, aber Geduldige! Verkannte und »Verbluͤhte! Erinnere dich der Zeiten nicht, wo du »noch auf beſſere hofteſt als die jetzigen und bereue »den edeln Stolz deines Herzens nie! Es iſt nicht »allemal Pflicht, zu heirathen, aber es iſt allemal »Pflicht, ſich nichts zu vergeben, auf Koſten der »Ehre nie gluͤcklich zu werden und Eheloſigkeit nicht »durch Ehrloſigkeit zu vermeiden. Unbewunderte, »einſame Heldin! in deiner letzten Stunde, wo das
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0150"n="140"/>
Vaͤter — was ſoll man mit ſeinem Enthuſiasmus<lb/>
fuͤr euer Geſchlecht machen, wenn man durch deut¬<lb/>ſche Staͤdte reiſet, wo jeder Reichſte oder Vornehm¬<lb/>ſte, und wenn er ein weitlaͤuftiger Anverwandter<lb/>
vom Teufel ſelber waͤre, auf dreißig Haͤuſer mit<lb/>
dem Finger zeigen und ſagen kann: ich weiß nicht<lb/>ſoll ich aus dem perlfarbenen oder nußfarbenen, oder<lb/>ſtahlgruͤnen Hauſe eine heirathen: offen ſind die<lb/>
Kauflaͤden alle?« — Wie, ihr Maͤdgen, iſt denn<lb/>
euer Herz ſo wenig werth, daß ihrs wie alte Klei¬<lb/>
der, nach jeder Mode, nach jeder Bruſt zuſchneidet<lb/>
und wirds denn wie eine ſineſiſche Kugel, bald groß<lb/>
bald wintzig um in eines maͤnnlichen Herzens Kugel¬<lb/>
form, und Ehering-Futteral einzupaſſen? — »Es<lb/>
»muß wohl, wenn man nicht ſitzen bleiben will, wie<lb/>
die heilige NN.« antworten mir die, denen ich nicht<lb/>
antworte, weil ich mich mit Verachtung wegwende<lb/>
von ihnen, um der ſogenannten heiligen NN. zu ſa¬<lb/>
gen: »Verlaſſene, aber Geduldige! Verkannte und<lb/>
»Verbluͤhte! Erinnere dich der Zeiten nicht, wo du<lb/>
»noch auf beſſere hofteſt als die jetzigen und bereue<lb/>
»den edeln Stolz deines Herzens nie! Es iſt nicht<lb/>
»allemal Pflicht, zu heirathen, aber es iſt allemal<lb/>
»Pflicht, ſich nichts zu vergeben, auf Koſten der<lb/>
»Ehre nie gluͤcklich zu werden und Eheloſigkeit nicht<lb/>
»durch Ehrloſigkeit zu vermeiden. Unbewunderte,<lb/>
»einſame Heldin! in deiner letzten Stunde, wo das<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[140/0150]
Vaͤter — was ſoll man mit ſeinem Enthuſiasmus
fuͤr euer Geſchlecht machen, wenn man durch deut¬
ſche Staͤdte reiſet, wo jeder Reichſte oder Vornehm¬
ſte, und wenn er ein weitlaͤuftiger Anverwandter
vom Teufel ſelber waͤre, auf dreißig Haͤuſer mit
dem Finger zeigen und ſagen kann: ich weiß nicht
ſoll ich aus dem perlfarbenen oder nußfarbenen, oder
ſtahlgruͤnen Hauſe eine heirathen: offen ſind die
Kauflaͤden alle?« — Wie, ihr Maͤdgen, iſt denn
euer Herz ſo wenig werth, daß ihrs wie alte Klei¬
der, nach jeder Mode, nach jeder Bruſt zuſchneidet
und wirds denn wie eine ſineſiſche Kugel, bald groß
bald wintzig um in eines maͤnnlichen Herzens Kugel¬
form, und Ehering-Futteral einzupaſſen? — »Es
»muß wohl, wenn man nicht ſitzen bleiben will, wie
die heilige NN.« antworten mir die, denen ich nicht
antworte, weil ich mich mit Verachtung wegwende
von ihnen, um der ſogenannten heiligen NN. zu ſa¬
gen: »Verlaſſene, aber Geduldige! Verkannte und
»Verbluͤhte! Erinnere dich der Zeiten nicht, wo du
»noch auf beſſere hofteſt als die jetzigen und bereue
»den edeln Stolz deines Herzens nie! Es iſt nicht
»allemal Pflicht, zu heirathen, aber es iſt allemal
»Pflicht, ſich nichts zu vergeben, auf Koſten der
»Ehre nie gluͤcklich zu werden und Eheloſigkeit nicht
»durch Ehrloſigkeit zu vermeiden. Unbewunderte,
»einſame Heldin! in deiner letzten Stunde, wo das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/150>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.