"Festzeiten, die Verlobungs- die Begräbnißtage bil¬ "den eben so viel verschiedene Sekten unter den Je¬ "suiten der Liebe." -- Joachime machte den Anfang zu einer zürnenden Mine. Der Hofmedikus hatte nichts lieber mit Schönen als Zank und setzte dazu: "c'est a force de se faire hair qu'elles se fout ai¬ "mer -- c'est aimer que de bouder -- ah que je Vous prie de Vous facher!" -- Seine Laune hatte ihn über das Ziel getrieben -- Joachime hatte Recht genug, seine Bitte um ihren Zorn zu erfüllen -- er wollte den Zank fortsetzen, um ihn beizulegen -- da es aber doch Fälle giebt, wo die Vergrößerung einer Beleidigung eben so wenig Vergebung ver¬ schaft als die stufenweise Zurücknahme derselben: so that er gescheut, daß er ging.
Er wunderte sich, daß er den ganzen Tag an sie dachte: das Gefühl, ihr Unrecht gethan zu haben, stellte ihr Gesicht in einer leidenden Mine vor seine erweichte Seele und alle ihre Züge waren auf ein¬ mal veredelt. Tazitus sagt, man hasset den andern wenn man ihn beleidigt hat: aber gute Menschen lieben den andern oft bloß deswegen.
Am Tage darauf, am Ottomars Tage -- Otto¬ mar! großer Name, der auf einmal das lange Lei¬ chenkondukt einer großen Vergangenheit im Finstern vor mir vorüberführt -- sah er sie ernsthaft, ihn weder suchend noch fliehend. Die zwei Narren
blie¬
»Feſtzeiten, die Verlobungs- die Begraͤbnißtage bil¬ »den eben ſo viel verſchiedene Sekten unter den Je¬ »ſuiten der Liebe.» — Joachime machte den Anfang zu einer zuͤrnenden Mine. Der Hofmedikus hatte nichts lieber mit Schoͤnen als Zank und ſetzte dazu: »c'est a force de se faire hair qu'elles se fout ai¬ »mer — c'est aimer que de bouder — ah que je Vous prie de Vous facher!« — Seine Laune hatte ihn uͤber das Ziel getrieben — Joachime hatte Recht genug, ſeine Bitte um ihren Zorn zu erfuͤllen — er wollte den Zank fortſetzen, um ihn beizulegen — da es aber doch Faͤlle giebt, wo die Vergroͤßerung einer Beleidigung eben ſo wenig Vergebung ver¬ ſchaft als die ſtufenweiſe Zuruͤcknahme derſelben: ſo that er geſcheut, daß er ging.
Er wunderte ſich, daß er den ganzen Tag an ſie dachte: das Gefuͤhl, ihr Unrecht gethan zu haben, ſtellte ihr Geſicht in einer leidenden Mine vor ſeine erweichte Seele und alle ihre Zuͤge waren auf ein¬ mal veredelt. Tazitus ſagt, man haſſet den andern wenn man ihn beleidigt hat: aber gute Menſchen lieben den andern oft bloß deswegen.
Am Tage darauf, am Ottomars Tage — Otto¬ mar! großer Name, der auf einmal das lange Lei¬ chenkondukt einer großen Vergangenheit im Finſtern vor mir voruͤberfuͤhrt — ſah er ſie ernſthaft, ihn weder ſuchend noch fliehend. Die zwei Narren
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»Feſtzeiten, die Verlobungs- die Begraͤbnißtage bil¬
»den eben ſo viel verſchiedene Sekten unter den Je¬
»ſuiten der Liebe.» — Joachime machte den Anfang
zu einer zuͤrnenden Mine. Der Hofmedikus hatte
nichts lieber mit Schoͤnen als Zank und ſetzte dazu:
»c'est a force de se faire hair qu'elles se fout ai¬
»mer — c'est aimer que de bouder — ah que je
Vous prie de Vous facher!« — Seine Laune hatte
ihn uͤber das Ziel getrieben — Joachime hatte Recht
genug, ſeine Bitte um ihren Zorn zu erfuͤllen — er
wollte den Zank fortſetzen, um ihn beizulegen — da
es aber doch Faͤlle giebt, wo die Vergroͤßerung
einer Beleidigung eben ſo wenig Vergebung ver¬
ſchaft als die ſtufenweiſe Zuruͤcknahme derſelben:
ſo that er geſcheut, daß er ging.
Er wunderte ſich, daß er den ganzen Tag an ſie
dachte: das Gefuͤhl, ihr Unrecht gethan zu haben,
ſtellte ihr Geſicht in einer leidenden Mine vor ſeine
erweichte Seele und alle ihre Zuͤge waren auf ein¬
mal veredelt. Tazitus ſagt, man haſſet den andern
wenn man ihn beleidigt hat: aber gute Menſchen
lieben den andern oft bloß deswegen.
Am Tage darauf, am Ottomars Tage — Otto¬
mar! großer Name, der auf einmal das lange Lei¬
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vor mir voruͤberfuͤhrt — ſah er ſie ernſthaft, ihn
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/170>, abgerufen am 21.11.2024.
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