Kinderfreuden, der herunterblickende Sternenhimmel, der alle dunkeln Wünsche des Menschen wie Blu¬ men zu Nachts magisch beleuchtet, und die Stille überfüllten und beklemmten seine verlassene Seele und er drückte die einzige Hand, die ihm jetzt das Menschengeschlecht reichte. Er fragte sie geradezu über ihren Kummer. Joachime antwortete sanfter wie sonst: "ich wollte Sie dasselbe fragen; aber bei mir ists natürlich." Denn sie hatte, erzählte sie, bei ihrer Zurückkehr das Gepäcke Klotildens und die Nachricht der Ankunft und -- was eben der Punkt ist -- die Kleider ihrer Schwester Giulia, denen Klotilde bisher eine Stelle unter ihren gegeben, an¬ getroffen. Diese Giulia war, bekanntlich an Klotil¬ dens Herzen verschieden, einen Tag vorher eh' diese aus Maienthal nach St. Lüne zog.
Ein Chaos durchschoß sein Herz; aber aus dem Chaos setzte sich bloß die umgesunkne Giulia zusam¬ men -- denn Klotilde wich täglich in ein dunkleres Heiligthum seiner Seele zurück; -- ihr blasses Luna- Bild liebkosete mit Stralen einer andern Welt sei¬ nen wunden Nerven und er ließ sich gerne glauben, Joachime habe ihre Gestalt. In seiner dichterischen den Weibern so selten verständlichen Erhebung warf die Erblaßte den Heiligenschein, den ihr Klotilde zu¬ stralte, wieder auf ihre Schwester zurück. Joachime hatte heute wieder den Brief gelesen den Giulia an
Kinderfreuden, der herunterblickende Sternenhimmel, der alle dunkeln Wuͤnſche des Menſchen wie Blu¬ men zu Nachts magiſch beleuchtet, und die Stille uͤberfuͤllten und beklemmten ſeine verlaſſene Seele und er druͤckte die einzige Hand, die ihm jetzt das Menſchengeſchlecht reichte. Er fragte ſie geradezu uͤber ihren Kummer. Joachime antwortete ſanfter wie ſonſt: »ich wollte Sie daſſelbe fragen; aber bei mir iſts natuͤrlich.« Denn ſie hatte, erzaͤhlte ſie, bei ihrer Zuruͤckkehr das Gepaͤcke Klotildens und die Nachricht der Ankunft und — was eben der Punkt iſt — die Kleider ihrer Schweſter Giulia, denen Klotilde bisher eine Stelle unter ihren gegeben, an¬ getroffen. Dieſe Giulia war, bekanntlich an Klotil¬ dens Herzen verſchieden, einen Tag vorher eh' dieſe aus Maienthal nach St. Luͤne zog.
Ein Chaos durchſchoß ſein Herz; aber aus dem Chaos ſetzte ſich bloß die umgeſunkne Giulia zuſam¬ men — denn Klotilde wich taͤglich in ein dunkleres Heiligthum ſeiner Seele zuruͤck; — ihr blaſſes Luna- Bild liebkoſete mit Stralen einer andern Welt ſei¬ nen wunden Nerven und er ließ ſich gerne glauben, Joachime habe ihre Geſtalt. In ſeiner dichteriſchen den Weibern ſo ſelten verſtaͤndlichen Erhebung warf die Erblaßte den Heiligenſchein, den ihr Klotilde zu¬ ſtralte, wieder auf ihre Schweſter zuruͤck. Joachime hatte heute wieder den Brief geleſen den Giulia an
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0191"n="181"/>
Kinderfreuden, der herunterblickende Sternenhimmel,<lb/>
der alle dunkeln Wuͤnſche des Menſchen wie Blu¬<lb/>
men zu Nachts magiſch beleuchtet, und die Stille<lb/>
uͤberfuͤllten und beklemmten ſeine verlaſſene Seele<lb/>
und er druͤckte die einzige Hand, die ihm jetzt das<lb/>
Menſchengeſchlecht reichte. Er fragte ſie geradezu<lb/>
uͤber ihren Kummer. Joachime antwortete ſanfter<lb/>
wie ſonſt: »ich wollte Sie daſſelbe fragen; aber bei<lb/>
mir iſts natuͤrlich.« Denn ſie hatte, erzaͤhlte ſie, bei<lb/>
ihrer Zuruͤckkehr das Gepaͤcke Klotildens und die<lb/>
Nachricht der Ankunft und — was eben der Punkt<lb/>
iſt — die Kleider ihrer Schweſter Giulia, denen<lb/>
Klotilde bisher eine Stelle unter ihren gegeben, an¬<lb/>
getroffen. Dieſe Giulia war, bekanntlich an Klotil¬<lb/>
dens Herzen verſchieden, einen Tag vorher eh' dieſe<lb/>
aus Maienthal nach St. Luͤne zog.</p><lb/><p>Ein Chaos durchſchoß ſein Herz; aber aus dem<lb/>
Chaos ſetzte ſich bloß die umgeſunkne Giulia zuſam¬<lb/>
men — denn Klotilde wich taͤglich in ein dunkleres<lb/>
Heiligthum ſeiner Seele zuruͤck; — ihr blaſſes Luna-<lb/>
Bild liebkoſete mit Stralen einer andern Welt ſei¬<lb/>
nen wunden Nerven und er ließ ſich gerne glauben,<lb/>
Joachime habe ihre Geſtalt. In ſeiner dichteriſchen<lb/>
den Weibern ſo ſelten verſtaͤndlichen Erhebung warf<lb/>
die Erblaßte den Heiligenſchein, den ihr Klotilde zu¬<lb/>ſtralte, wieder auf ihre Schweſter zuruͤck. Joachime<lb/>
hatte heute wieder <choice><sic>deu</sic><corr>den</corr></choice> Brief geleſen den Giulia an<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[181/0191]
Kinderfreuden, der herunterblickende Sternenhimmel,
der alle dunkeln Wuͤnſche des Menſchen wie Blu¬
men zu Nachts magiſch beleuchtet, und die Stille
uͤberfuͤllten und beklemmten ſeine verlaſſene Seele
und er druͤckte die einzige Hand, die ihm jetzt das
Menſchengeſchlecht reichte. Er fragte ſie geradezu
uͤber ihren Kummer. Joachime antwortete ſanfter
wie ſonſt: »ich wollte Sie daſſelbe fragen; aber bei
mir iſts natuͤrlich.« Denn ſie hatte, erzaͤhlte ſie, bei
ihrer Zuruͤckkehr das Gepaͤcke Klotildens und die
Nachricht der Ankunft und — was eben der Punkt
iſt — die Kleider ihrer Schweſter Giulia, denen
Klotilde bisher eine Stelle unter ihren gegeben, an¬
getroffen. Dieſe Giulia war, bekanntlich an Klotil¬
dens Herzen verſchieden, einen Tag vorher eh' dieſe
aus Maienthal nach St. Luͤne zog.
Ein Chaos durchſchoß ſein Herz; aber aus dem
Chaos ſetzte ſich bloß die umgeſunkne Giulia zuſam¬
men — denn Klotilde wich taͤglich in ein dunkleres
Heiligthum ſeiner Seele zuruͤck; — ihr blaſſes Luna-
Bild liebkoſete mit Stralen einer andern Welt ſei¬
nen wunden Nerven und er ließ ſich gerne glauben,
Joachime habe ihre Geſtalt. In ſeiner dichteriſchen
den Weibern ſo ſelten verſtaͤndlichen Erhebung warf
die Erblaßte den Heiligenſchein, den ihr Klotilde zu¬
ſtralte, wieder auf ihre Schweſter zuruͤck. Joachime
hatte heute wieder den Brief geleſen den Giulia an
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/191>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.