"chen Blumenkelch, den alles zerdrückt, verschüttet, "aufsaugt und der noch vor der Mittagssonne ent¬ "flohen ist: solche für eine Welt voll Sturm zu bieg¬ "same Seelen, die zu viel Nerven und zu wenig "Muskeln haben, verdienen ihrer Empfindsamkeit "wegen das einfressende Salz der Satire nicht, das "sie wie Schnecken zernagt -- die Erde und wir "können ihnen wenig Freuden geben, warum wollen "wir ihnen die andern nehmen?"
Aber die Trauerzüge, die jetzt das Mitleid durch Joachimens Lächeln zog, drückten sich deutlich in Viktors Herzen ab und das, was sie hier verbergen wollte, machte sie reizender als alles was sie je zu zeigen gesucht.
Nichts ist gefährlicher -- wie er vor einigen Wochen gethan -- als sich verliebt zu stellen: man wirds gleich darauf. So war der Weichling Ba¬ ron einige Tage, wenn er einen Helden von Cor¬ neille gespielet hatte, selber einer. So starb Mo¬ liere am eingebildeten Kranken und Karl V am Pro¬ be-Begräbniß. So machte die papierne Krone, die Kromwel in einem Schuldrama aufbekommen hatte, ihn auf eine härtere begierig. -- Die zweite Lehre, die daraus zu lernen ist (diese setzt aber freilich vor¬ aus, Joachime war eine Kokette,) ist die: daß ein Held die Koketterie wahrnehmen und doch hineintap¬ pen könne; ein Poet sitzt wie die Nachtigal, (der
»chen Blumenkelch, den alles zerdruͤckt, verſchuͤttet, »aufſaugt und der noch vor der Mittagsſonne ent¬ »flohen iſt: ſolche fuͤr eine Welt voll Sturm zu bieg¬ »ſame Seelen, die zu viel Nerven und zu wenig »Muſkeln haben, verdienen ihrer Empfindſamkeit »wegen das einfreſſende Salz der Satire nicht, das »ſie wie Schnecken zernagt — die Erde und wir »koͤnnen ihnen wenig Freuden geben, warum wollen »wir ihnen die andern nehmen?«
Aber die Trauerzuͤge, die jetzt das Mitleid durch Joachimens Laͤcheln zog, druͤckten ſich deutlich in Viktors Herzen ab und das, was ſie hier verbergen wollte, machte ſie reizender als alles was ſie je zu zeigen geſucht.
Nichts iſt gefaͤhrlicher — wie er vor einigen Wochen gethan — als ſich verliebt zu ſtellen: man wirds gleich darauf. So war der Weichling Ba¬ ron einige Tage, wenn er einen Helden von Cor¬ neille geſpielet hatte, ſelber einer. So ſtarb Mo¬ liere am eingebildeten Kranken und Karl V am Pro¬ be-Begraͤbniß. So machte die papierne Krone, die Kromwel in einem Schuldrama aufbekommen hatte, ihn auf eine haͤrtere begierig. — Die zweite Lehre, die daraus zu lernen iſt (dieſe ſetzt aber freilich vor¬ aus, Joachime war eine Kokette,) iſt die: daß ein Held die Koketterie wahrnehmen und doch hineintap¬ pen koͤnne; ein Poet ſitzt wie die Nachtigal, (der
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»chen Blumenkelch, den alles zerdruͤckt, verſchuͤttet,
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»flohen iſt: ſolche fuͤr eine Welt voll Sturm zu bieg¬
»ſame Seelen, die zu viel Nerven und zu wenig
»Muſkeln haben, verdienen ihrer Empfindſamkeit
»wegen das einfreſſende Salz der Satire nicht, das
»ſie wie Schnecken zernagt — die Erde und wir
»koͤnnen ihnen wenig Freuden geben, warum wollen
»wir ihnen die andern nehmen?«
Aber die Trauerzuͤge, die jetzt das Mitleid durch
Joachimens Laͤcheln zog, druͤckten ſich deutlich in
Viktors Herzen ab und das, was ſie hier verbergen
wollte, machte ſie reizender als alles was ſie je zu
zeigen geſucht.
Nichts iſt gefaͤhrlicher — wie er vor einigen
Wochen gethan — als ſich verliebt zu ſtellen: man
wirds gleich darauf. So war der Weichling Ba¬
ron einige Tage, wenn er einen Helden von Cor¬
neille geſpielet hatte, ſelber einer. So ſtarb Mo¬
liere am eingebildeten Kranken und Karl V am Pro¬
be-Begraͤbniß. So machte die papierne Krone, die
Kromwel in einem Schuldrama aufbekommen hatte,
ihn auf eine haͤrtere begierig. — Die zweite Lehre,
die daraus zu lernen iſt (dieſe ſetzt aber freilich vor¬
aus, Joachime war eine Kokette,) iſt die: daß ein
Held die Koketterie wahrnehmen und doch hineintap¬
pen koͤnne; ein Poet ſitzt wie die Nachtigal, (der
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/196>, abgerufen am 24.11.2024.
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