Der Tod berührte das blutige Herz und ein Mensch war vorüber. . . .
Während Viktor das Trauerblatt las, hatte die Schwester der Todten einigemale, weil sie sich das dachte was er las, die Augen abgetrocknet; und als er sie ansah, schimmerten darin die Samenperlen ei¬ ner weichen Seele. O er wünschte jetzt seiner vol¬ len Brust den Gyges-Ring der Unsichtbarkeit oder den Erker seines Zimmers, um allen Seufzern und Gefühlen ungesehen nachzuhängen. Wär' er in ei¬ nem bürgerlichen Hause gewesen: so hätte er unver¬ spottet jetzt zu den ausgepackten Kleidern und in die künftigen Zimmer Klotildens gehen können -- und er hätte gleichsam die grünen Fluren von Maienthal wieder erblickt, wenn er die romantischen Gewänder, worin Giulia sie durchstreifet hatte, unter den letz¬ ten Küssen der Schwester hätte verschließen sehen -- -- Aber in einem solchen Hause wars eine Unmög¬ lichkeit.
Er verzieh jetzt, da er seltener den Genuß der fremden Empfindsamkeit hatte, sogar das Uebertrei¬ ben derselben leicht. Daß sie den Körper zerrütte, war ihm der elendeste Einwand, weil ihn ja alles Edlere, jede Anstrengung, alles Denken aufreibe: der Körper und das Leben wären ja nur Mittel, aber kein Zweck. "Giulias Herz in Giulias Körper, "sagte er, ist ein reiner Thautropfe in einem wei¬
Der Tod beruͤhrte das blutige Herz und ein Menſch war voruͤber. . . .
Waͤhrend Viktor das Trauerblatt las, hatte die Schweſter der Todten einigemale, weil ſie ſich das dachte was er las, die Augen abgetrocknet; und als er ſie anſah, ſchimmerten darin die Samenperlen ei¬ ner weichen Seele. O er wuͤnſchte jetzt ſeiner vol¬ len Bruſt den Gyges-Ring der Unſichtbarkeit oder den Erker ſeines Zimmers, um allen Seufzern und Gefuͤhlen ungeſehen nachzuhaͤngen. Waͤr' er in ei¬ nem buͤrgerlichen Hauſe geweſen: ſo haͤtte er unver¬ ſpottet jetzt zu den ausgepackten Kleidern und in die kuͤnftigen Zimmer Klotildens gehen koͤnnen — und er haͤtte gleichſam die gruͤnen Fluren von Maienthal wieder erblickt, wenn er die romantiſchen Gewaͤnder, worin Giulia ſie durchſtreifet hatte, unter den letz¬ ten Kuͤſſen der Schweſter haͤtte verſchließen ſehen — — Aber in einem ſolchen Hauſe wars eine Unmoͤg¬ lichkeit.
Er verzieh jetzt, da er ſeltener den Genuß der fremden Empfindſamkeit hatte, ſogar das Uebertrei¬ ben derſelben leicht. Daß ſie den Koͤrper zerruͤtte, war ihm der elendeſte Einwand, weil ihn ja alles Edlere, jede Anſtrengung, alles Denken aufreibe: der Koͤrper und das Leben waͤren ja nur Mittel, aber kein Zweck. »Giulias Herz in Giulias Koͤrper, »ſagte er, iſt ein reiner Thautropfe in einem wei¬
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Der Tod beruͤhrte das blutige Herz und ein
Menſch war voruͤber. . . .
Waͤhrend Viktor das Trauerblatt las, hatte die
Schweſter der Todten einigemale, weil ſie ſich das
dachte was er las, die Augen abgetrocknet; und als
er ſie anſah, ſchimmerten darin die Samenperlen ei¬
ner weichen Seele. O er wuͤnſchte jetzt ſeiner vol¬
len Bruſt den Gyges-Ring der Unſichtbarkeit oder
den Erker ſeines Zimmers, um allen Seufzern und
Gefuͤhlen ungeſehen nachzuhaͤngen. Waͤr' er in ei¬
nem buͤrgerlichen Hauſe geweſen: ſo haͤtte er unver¬
ſpottet jetzt zu den ausgepackten Kleidern und in die
kuͤnftigen Zimmer Klotildens gehen koͤnnen — und
er haͤtte gleichſam die gruͤnen Fluren von Maienthal
wieder erblickt, wenn er die romantiſchen Gewaͤnder,
worin Giulia ſie durchſtreifet hatte, unter den letz¬
ten Kuͤſſen der Schweſter haͤtte verſchließen ſehen —
— Aber in einem ſolchen Hauſe wars eine Unmoͤg¬
lichkeit.
Er verzieh jetzt, da er ſeltener den Genuß der
fremden Empfindſamkeit hatte, ſogar das Uebertrei¬
ben derſelben leicht. Daß ſie den Koͤrper zerruͤtte,
war ihm der elendeſte Einwand, weil ihn ja alles
Edlere, jede Anſtrengung, alles Denken aufreibe: der
Koͤrper und das Leben waͤren ja nur Mittel, aber
kein Zweck. »Giulias Herz in Giulias Koͤrper,
»ſagte er, iſt ein reiner Thautropfe in einem wei¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/195>, abgerufen am 18.12.2024.
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