Lüne hatte gehen lassen, war sie noch scheu. Ich kann aber seinen Fehler, aus einem Hause, das er ein Vierteljahr aus Gründea gemieden, nachher noch ein zweites ohne Gründe wegzubleiben, ich kann diesen Fehler nicht ganz verdammen, weil ich ihn -- selber habe. -- Sie konnte sich nicht satt an ihm sehen: ihr blühendes Landgesicht wies ihm statt seiner jetzigen Karwochen des Grames, eine Röthel¬ zeichnung seiner und ihrer dahin geflatterten Freu¬ dentage im Pfarrgarten. Er verhies ihr feierlich, ihr Ostergast zu seyn mit ihrem Bruder und statt der Köpfe und Fenster einander nichts einzuschlagen als Eier: er rastete nicht bis er der Alte wieder war, und sie die Alte. Da sie die Langduodez Ge¬ schichte des Dorfes und Vaters den zwei nur aus Liebe lächelnden Hofleuten gar nicht als eine Epito¬ matorin oder in einer kastrirten Ausgabe ablieferte, sondern in der Länge ihrer Rückenbänder: so fühlten Klotilde und Viktor, wie wohl ihnen dieses Nieder¬ steigen von den bunten spitzen Hofgletschern in die weichen Thäler der mittlern Stände that und sie sehnteu sich beide weg von glatten Herzen an war¬ me. Unter den Menschen und Borsdorferäpfeln sind nicht die glatten die besten, sondern die rauhen mit einigen Warzen. Dieses Sehnen nach aufrichtigern Seelen war es auch wohl, was aus Klotilden die Behauptung preste: es gebe nur Mißheirathen zwi¬
Luͤne hatte gehen laſſen, war ſie noch ſcheu. Ich kann aber ſeinen Fehler, aus einem Hauſe, das er ein Vierteljahr aus Gruͤndea gemieden, nachher noch ein zweites ohne Gruͤnde wegzubleiben, ich kann dieſen Fehler nicht ganz verdammen, weil ich ihn — ſelber habe. — Sie konnte ſich nicht ſatt an ihm ſehen: ihr bluͤhendes Landgeſicht wies ihm ſtatt ſeiner jetzigen Karwochen des Grames, eine Roͤthel¬ zeichnung ſeiner und ihrer dahin geflatterten Freu¬ dentage im Pfarrgarten. Er verhies ihr feierlich, ihr Oſtergaſt zu ſeyn mit ihrem Bruder und ſtatt der Koͤpfe und Fenſter einander nichts einzuſchlagen als Eier: er raſtete nicht bis er der Alte wieder war, und ſie die Alte. Da ſie die Langduodez Ge¬ ſchichte des Dorfes und Vaters den zwei nur aus Liebe laͤchelnden Hofleuten gar nicht als eine Epito¬ matorin oder in einer kaſtrirten Ausgabe ablieferte, ſondern in der Laͤnge ihrer Ruͤckenbaͤnder: ſo fuͤhlten Klotilde und Viktor, wie wohl ihnen dieſes Nieder¬ ſteigen von den bunten ſpitzen Hofgletſchern in die weichen Thaͤler der mittlern Staͤnde that und ſie ſehnteu ſich beide weg von glatten Herzen an war¬ me. Unter den Menſchen und Borsdorferaͤpfeln ſind nicht die glatten die beſten, ſondern die rauhen mit einigen Warzen. Dieſes Sehnen nach aufrichtigern Seelen war es auch wohl, was aus Klotilden die Behauptung preſte: es gebe nur Mißheirathen zwi¬
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Luͤne hatte gehen laſſen, war ſie noch ſcheu. Ich
kann aber ſeinen Fehler, aus einem Hauſe, das er
ein Vierteljahr aus Gruͤndea gemieden, nachher
noch ein zweites ohne Gruͤnde wegzubleiben, ich
kann dieſen Fehler nicht ganz verdammen, weil ich
ihn — ſelber habe. — Sie konnte ſich nicht ſatt an
ihm ſehen: ihr bluͤhendes Landgeſicht wies ihm ſtatt
ſeiner jetzigen Karwochen des Grames, eine Roͤthel¬
zeichnung ſeiner und ihrer dahin geflatterten Freu¬
dentage im Pfarrgarten. Er verhies ihr feierlich,
ihr Oſtergaſt zu ſeyn mit ihrem Bruder und ſtatt
der Koͤpfe und Fenſter einander nichts einzuſchlagen
als Eier: er raſtete nicht bis er der Alte wieder
war, und ſie die Alte. Da ſie die Langduodez Ge¬
ſchichte des Dorfes und Vaters den zwei nur aus
Liebe laͤchelnden Hofleuten gar nicht als eine Epito¬
matorin oder in einer kaſtrirten Ausgabe ablieferte,
ſondern in der Laͤnge ihrer Ruͤckenbaͤnder: ſo fuͤhlten
Klotilde und Viktor, wie wohl ihnen dieſes Nieder¬
ſteigen von den bunten ſpitzen Hofgletſchern in die
weichen Thaͤler der mittlern Staͤnde that und ſie
ſehnteu ſich beide weg von glatten Herzen an war¬
me. Unter den Menſchen und Borsdorferaͤpfeln ſind
nicht die glatten die beſten, ſondern die rauhen mit
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Seelen war es auch wohl, was aus Klotilden die
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/264>, abgerufen am 21.11.2024.
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