Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Blinden -- o! komm' in meine Seele, wenn sie
allein ist und wenn es warm und still auf meine
Wangen regnet und ich dazu weine, und eine un¬
aussprechliche Liebe fühle: ach du guter großer Geist,
dich hab' ich gewiß bisher gemeint und geliebt! --
Emanuel, sag' mir noch viel, sage mir seine Gedan¬
ken und seinen Anfang."

Gott ist die Ewigkeit, Gott ist die Wahrheit,
Gott ist die Heiligkeit -- er hat nichts, er ist alles
-- das ganze Herz fasset ihn, aber kein Gedanke
und Er denkt nur uns wenn wir ihn denken.
-- -- Alles Unendliche und Unbegreifliche im Men¬
schen ist sein Wiederschein; aber weiter denke dein
Schauder nicht. Die Schöpfung hängt als Schleier,
der aus Sonnen und Geistern gewebt ist, über
dem Unendlichen und die Ewigkeiten gehen vor dem
Schleier vorbei und ziehen ihn nicht weg von dem
Glanze, den er verhüllet."

Stumm gingen wir Hand in Hand den Berg
hinab, wir vernahmen den Sturmwind nicht vor der
Stimme unserer Gedanken, und als wir in unsere
Hütte traten, sagte Julius: ich werde den größten
Gedanken des Menschen immer denken, unter dem
Tönen meiner Flöte, unter dem Brausen des Sturms
und unter dem Fallen des warmen Regens, und
wenn ich weine und wenn ich dich umarme und

S 2

Blinden — o! komm' in meine Seele, wenn ſie
allein iſt und wenn es warm und ſtill auf meine
Wangen regnet und ich dazu weine, und eine un¬
ausſprechliche Liebe fuͤhle: ach du guter großer Geiſt,
dich hab' ich gewiß bisher gemeint und geliebt! —
Emanuel, ſag' mir noch viel, ſage mir ſeine Gedan¬
ken und ſeinen Anfang.«

Gott iſt die Ewigkeit, Gott iſt die Wahrheit,
Gott iſt die Heiligkeit — er hat nichts, er iſt alles
— das ganze Herz faſſet ihn, aber kein Gedanke
und Er denkt nur uns wenn wir ihn denken.
— — Alles Unendliche und Unbegreifliche im Men¬
ſchen iſt ſein Wiederſchein; aber weiter denke dein
Schauder nicht. Die Schoͤpfung haͤngt als Schleier,
der aus Sonnen und Geiſtern gewebt iſt, uͤber
dem Unendlichen und die Ewigkeiten gehen vor dem
Schleier vorbei und ziehen ihn nicht weg von dem
Glanze, den er verhuͤllet.«

Stumm gingen wir Hand in Hand den Berg
hinab, wir vernahmen den Sturmwind nicht vor der
Stimme unſerer Gedanken, und als wir in unſere
Huͤtte traten, ſagte Julius: ich werde den groͤßten
Gedanken des Menſchen immer denken, unter dem
Toͤnen meiner Floͤte, unter dem Brauſen des Sturms
und unter dem Fallen des warmen Regens, und
wenn ich weine und wenn ich dich umarme und

S 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0285" n="275"/>
Blinden &#x2014; o! komm' in meine Seele, wenn &#x017F;ie<lb/>
allein i&#x017F;t und wenn es warm und &#x017F;till auf meine<lb/>
Wangen regnet und ich dazu weine, und eine un¬<lb/>
aus&#x017F;prechliche Liebe fu&#x0364;hle: ach du guter großer Gei&#x017F;t,<lb/>
dich hab' ich gewiß bisher gemeint und geliebt! &#x2014;<lb/>
Emanuel, &#x017F;ag' mir noch viel, &#x017F;age mir &#x017F;eine Gedan¬<lb/>
ken und &#x017F;einen Anfang.«</p><lb/>
          <p>Gott i&#x017F;t die Ewigkeit, Gott i&#x017F;t die Wahrheit,<lb/>
Gott i&#x017F;t die Heiligkeit &#x2014; er hat nichts, er i&#x017F;t alles<lb/>
&#x2014; das <hi rendition="#g">ganze Herz</hi> fa&#x017F;&#x017F;et ihn, aber kein <hi rendition="#g">Gedanke</hi><lb/>
und <hi rendition="#g">Er denkt nur uns wenn wir ihn denken</hi>.<lb/>
&#x2014; &#x2014; Alles Unendliche und Unbegreifliche im Men¬<lb/>
&#x017F;chen i&#x017F;t &#x017F;ein Wieder&#x017F;chein; aber weiter denke dein<lb/>
Schauder nicht. Die Scho&#x0364;pfung ha&#x0364;ngt als Schleier,<lb/>
der aus Sonnen und Gei&#x017F;tern gewebt i&#x017F;t, u&#x0364;ber<lb/>
dem Unendlichen und die Ewigkeiten gehen vor dem<lb/>
Schleier vorbei und ziehen ihn nicht weg von dem<lb/>
Glanze, den er verhu&#x0364;llet.«</p><lb/>
          <p>Stumm gingen wir Hand in Hand den Berg<lb/>
hinab, wir vernahmen den Sturmwind nicht vor der<lb/>
Stimme un&#x017F;erer Gedanken, und als wir in un&#x017F;ere<lb/>
Hu&#x0364;tte traten, &#x017F;agte Julius: ich werde den gro&#x0364;ßten<lb/>
Gedanken des Men&#x017F;chen immer denken, unter dem<lb/>
To&#x0364;nen meiner Flo&#x0364;te, unter dem Brau&#x017F;en des Sturms<lb/>
und unter dem Fallen des warmen Regens, und<lb/>
wenn ich weine und wenn ich dich umarme und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">S 2<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[275/0285] Blinden — o! komm' in meine Seele, wenn ſie allein iſt und wenn es warm und ſtill auf meine Wangen regnet und ich dazu weine, und eine un¬ ausſprechliche Liebe fuͤhle: ach du guter großer Geiſt, dich hab' ich gewiß bisher gemeint und geliebt! — Emanuel, ſag' mir noch viel, ſage mir ſeine Gedan¬ ken und ſeinen Anfang.« Gott iſt die Ewigkeit, Gott iſt die Wahrheit, Gott iſt die Heiligkeit — er hat nichts, er iſt alles — das ganze Herz faſſet ihn, aber kein Gedanke und Er denkt nur uns wenn wir ihn denken. — — Alles Unendliche und Unbegreifliche im Men¬ ſchen iſt ſein Wiederſchein; aber weiter denke dein Schauder nicht. Die Schoͤpfung haͤngt als Schleier, der aus Sonnen und Geiſtern gewebt iſt, uͤber dem Unendlichen und die Ewigkeiten gehen vor dem Schleier vorbei und ziehen ihn nicht weg von dem Glanze, den er verhuͤllet.« Stumm gingen wir Hand in Hand den Berg hinab, wir vernahmen den Sturmwind nicht vor der Stimme unſerer Gedanken, und als wir in unſere Huͤtte traten, ſagte Julius: ich werde den groͤßten Gedanken des Menſchen immer denken, unter dem Toͤnen meiner Floͤte, unter dem Brauſen des Sturms und unter dem Fallen des warmen Regens, und wenn ich weine und wenn ich dich umarme und S 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/285
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/285>, abgerufen am 21.11.2024.