verkohlten Sonnen zerreibt -- wenn die Milchstra¬ ßen nur wie zurückfahrende Blitze aus dem großen Dunkel dringen -- wenn eine Weltenreihe um die andere in den Abgrund hinuntergezogen wird, wenn das ewige Grab nie voll und der ewige Sternenhim¬ mel nie leer wird: o mein Geliebter, wer erblickt und erhält denn uns kleine Menschen aus Staub? -- Du, Allgütiger, erhälst uns, du, Unendlicher, du, o Gott, du bildest uns, du siehest uns, du liebest uns -- O Julius, erhebe deinen Geist und fasse den größten Gedanken des Menschen! Da wo die Ewig¬ keit ist da wo die Unermeßlichkeit ist, und wo die Nacht anfängt, da breitet ein unendlicher Geist seine Arme aus und legt sie um das große fallende Wel¬ ten-All und trägt es und wärmt es. Ich und du und alle Menschen und alle Engel und alle Würm¬ gen ruhen an seiner Brust und das brausende schla¬ gende Welten- und Sonnenmeer ist ein einziges Kind in seinem Arm. Er siehet durch das Meer hindurch, worin Korallenbäume voll Erden schwan¬ ken und sieht an der kleinsten Koralle das Würm¬ gen kleben, das ich bin und er giebt dem Würmgen den nächsten Tropfen und ein seeliges Herz und eine Zukunft und ein Auge bis zu ihm hinauf -- ja, o Gott, bis zu dir hinauf, bis an dein Herz." --
Unaussprechlich gerührt sagte weinend Julius: "Du siehst, o Geist der Liebe, also auch mich armen
verkohlten Sonnen zerreibt — wenn die Milchſtra¬ ßen nur wie zuruͤckfahrende Blitze aus dem großen Dunkel dringen — wenn eine Weltenreihe um die andere in den Abgrund hinuntergezogen wird, wenn das ewige Grab nie voll und der ewige Sternenhim¬ mel nie leer wird: o mein Geliebter, wer erblickt und erhaͤlt denn uns kleine Menſchen aus Staub? — Du, Allguͤtiger, erhaͤlſt uns, du, Unendlicher, du, o Gott, du bildeſt uns, du ſieheſt uns, du liebeſt uns — O Julius, erhebe deinen Geiſt und faſſe den groͤßten Gedanken des Menſchen! Da wo die Ewig¬ keit iſt da wo die Unermeßlichkeit iſt, und wo die Nacht anfaͤngt, da breitet ein unendlicher Geiſt ſeine Arme aus und legt ſie um das große fallende Wel¬ ten-All und traͤgt es und waͤrmt es. Ich und du und alle Menſchen und alle Engel und alle Wuͤrm¬ gen ruhen an ſeiner Bruſt und das brauſende ſchla¬ gende Welten- und Sonnenmeer iſt ein einziges Kind in ſeinem Arm. Er ſiehet durch das Meer hindurch, worin Korallenbaͤume voll Erden ſchwan¬ ken und ſieht an der kleinſten Koralle das Wuͤrm¬ gen kleben, das ich bin und er giebt dem Wuͤrmgen den naͤchſten Tropfen und ein ſeeliges Herz und eine Zukunft und ein Auge bis zu ihm hinauf — ja, o Gott, bis zu dir hinauf, bis an dein Herz.« —
Unausſprechlich geruͤhrt ſagte weinend Julius: »Du ſiehſt, o Geiſt der Liebe, alſo auch mich armen
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verkohlten Sonnen zerreibt — wenn die Milchſtra¬
ßen nur wie zuruͤckfahrende Blitze aus dem großen
Dunkel dringen — wenn eine Weltenreihe um die
andere in den Abgrund hinuntergezogen wird, wenn
das ewige Grab nie voll und der ewige Sternenhim¬
mel nie leer wird: o mein Geliebter, wer erblickt
und erhaͤlt denn uns kleine Menſchen aus Staub?
— Du, Allguͤtiger, erhaͤlſt uns, du, Unendlicher, du,
o Gott, du bildeſt uns, du ſieheſt uns, du liebeſt
uns — O Julius, erhebe deinen Geiſt und faſſe den
groͤßten Gedanken des Menſchen! Da wo die Ewig¬
keit iſt da wo die Unermeßlichkeit iſt, und wo die
Nacht anfaͤngt, da breitet ein unendlicher Geiſt ſeine
Arme aus und legt ſie um das große fallende Wel¬
ten-All und traͤgt es und waͤrmt es. Ich und du
und alle Menſchen und alle Engel und alle Wuͤrm¬
gen ruhen an ſeiner Bruſt und das brauſende ſchla¬
gende Welten- und Sonnenmeer iſt ein einziges
Kind in ſeinem Arm. Er ſiehet durch das Meer
hindurch, worin Korallenbaͤume voll Erden ſchwan¬
ken und ſieht an der kleinſten Koralle das Wuͤrm¬
gen kleben, das ich bin und er giebt dem Wuͤrmgen
den naͤchſten Tropfen und ein ſeeliges Herz und eine
Zukunft und ein Auge bis zu ihm hinauf — ja, o
Gott, bis zu dir hinauf, bis an dein Herz.« —
Unausſprechlich geruͤhrt ſagte weinend Julius:
»Du ſiehſt, o Geiſt der Liebe, alſo auch mich armen
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/284>, abgerufen am 21.11.2024.
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