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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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dem Feuer zu nehmen. Aber der Apotheker, dessen
Herz nur klein aber doch nicht schwarz war, fühlte
sich zu sehr gekränkt und als Maz über seine Kla¬
gen lachend und schweigend von ihm ging, ohne sich
nur die Mühe einer Entschuldigung zu geben: so
schwur der Chiragrist, ihn -- da haben wir wieder
den Narren -- zu stürzen.

Trete wieder auf, mein Viktor, ich sehne mich
nach schönern Seelen als dieses Gebrüder Narren
da hat! -- Niemand von uns lebt und lieset so in
den Tag hinein, daß er nicht wüßte, in welcher bio¬
graphischen Zeitperiode wir leben: es ist nämlich 8
Tage vor Ostern, wo Zeusel auf dem Krankenbette
und Klotilde auf dem Wege nach St. Lüne ist. --
Flamin hinterbrachte unserem Viktor den Spaß mit
dem kranken Zeusel. Er mißfiel ihm gänzlich so wie
ihn Schriften wie der Antihypochondriakus, das Va¬
demekum oder die Erzähler solcher Bonmots -- die
fadesten aller Gesellschafter -- eckelten. Er konnte
nie eine Thierhatze zwischen zwei Narren anlegen:
bloß der Entwurf eines solchen Schlachtstücks kitzelte
seine Laune, aber nicht die Ausführung, so wie er
Prügelßenen gern in Smollet (dem Meister darin)
las und dachte, aber niemals sehen konnte. Sogar
von den Körper-Bonmots und Hand-Pointen am
fremden Leibe dacht' er zu geringschätzig, die ich doch
den stummen Witz (wie stumme Sünden) nennen

dem Feuer zu nehmen. Aber der Apotheker, deſſen
Herz nur klein aber doch nicht ſchwarz war, fuͤhlte
ſich zu ſehr gekraͤnkt und als Maz uͤber ſeine Kla¬
gen lachend und ſchweigend von ihm ging, ohne ſich
nur die Muͤhe einer Entſchuldigung zu geben: ſo
ſchwur der Chiragriſt, ihn — da haben wir wieder
den Narren — zu ſtuͤrzen.

Trete wieder auf, mein Viktor, ich ſehne mich
nach ſchoͤnern Seelen als dieſes Gebruͤder Narren
da hat! — Niemand von uns lebt und lieſet ſo in
den Tag hinein, daß er nicht wuͤßte, in welcher bio¬
graphiſchen Zeitperiode wir leben: es iſt naͤmlich 8
Tage vor Oſtern, wo Zeuſel auf dem Krankenbette
und Klotilde auf dem Wege nach St. Luͤne iſt. —
Flamin hinterbrachte unſerem Viktor den Spaß mit
dem kranken Zeuſel. Er mißfiel ihm gaͤnzlich ſo wie
ihn Schriften wie der Antihypochondriakus, das Va¬
demekum oder die Erzaͤhler ſolcher Bonmots — die
fadeſten aller Geſellſchafter — eckelten. Er konnte
nie eine Thierhatze zwiſchen zwei Narren anlegen:
bloß der Entwurf eines ſolchen Schlachtſtuͤcks kitzelte
ſeine Laune, aber nicht die Ausfuͤhrung, ſo wie er
Pruͤgelſzenen gern in Smollet (dem Meiſter darin)
las und dachte, aber niemals ſehen konnte. Sogar
von den Koͤrper-Bonmots und Hand-Pointen am
fremden Leibe dacht' er zu geringſchaͤtzig, die ich doch
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[293/0303] dem Feuer zu nehmen. Aber der Apotheker, deſſen Herz nur klein aber doch nicht ſchwarz war, fuͤhlte ſich zu ſehr gekraͤnkt und als Maz uͤber ſeine Kla¬ gen lachend und ſchweigend von ihm ging, ohne ſich nur die Muͤhe einer Entſchuldigung zu geben: ſo ſchwur der Chiragriſt, ihn — da haben wir wieder den Narren — zu ſtuͤrzen. Trete wieder auf, mein Viktor, ich ſehne mich nach ſchoͤnern Seelen als dieſes Gebruͤder Narren da hat! — Niemand von uns lebt und lieſet ſo in den Tag hinein, daß er nicht wuͤßte, in welcher bio¬ graphiſchen Zeitperiode wir leben: es iſt naͤmlich 8 Tage vor Oſtern, wo Zeuſel auf dem Krankenbette und Klotilde auf dem Wege nach St. Luͤne iſt. — Flamin hinterbrachte unſerem Viktor den Spaß mit dem kranken Zeuſel. Er mißfiel ihm gaͤnzlich ſo wie ihn Schriften wie der Antihypochondriakus, das Va¬ demekum oder die Erzaͤhler ſolcher Bonmots — die fadeſten aller Geſellſchafter — eckelten. Er konnte nie eine Thierhatze zwiſchen zwei Narren anlegen: bloß der Entwurf eines ſolchen Schlachtſtuͤcks kitzelte ſeine Laune, aber nicht die Ausfuͤhrung, ſo wie er Pruͤgelſzenen gern in Smollet (dem Meiſter darin) las und dachte, aber niemals ſehen konnte. Sogar von den Koͤrper-Bonmots und Hand-Pointen am fremden Leibe dacht' er zu geringſchaͤtzig, die ich doch den ſtummen Witz (wie ſtumme Suͤnden) nennen

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/303>, abgerufen am 22.11.2024.