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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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Seegefecht oder in ein Kontumazhaus, oder in den
russischen Eispallast.

Meublen und Personen waren in Schleunes Hau¬
se vom feinsten Geschmack. Viktor fand darin von
den Wackelfiguren und Hofleuten an bis zu den Ba¬
saltbüsten alter Gelehrten und zu den Puppen der
Schleunes'schen Töchter, vom geglätteten Fußboden
bis zu den geglätteten Gesichtern, vom Puderkabinet
bis zum Lesekabinet -- beide kolorirten den Kopf
schon im Durchmarsch -- kurz überall fand er alles,
was die Prachtgesetze je -- verboten haben. Seine
erste Verlegenheit bei der Fürstin gab ihm die Stim¬
mung zu einer zweiten. Es war der alte Vik¬
tor gar nicht mehr. Ich weis voraus, daß ihn die
löblichen Schullehrer am Marianum in Scheerau
darüber hart anlassen werden -- zumal der Rektor
-- daß er so wenig Welt hatte, daß er dort witzig
ohne Munterkeit, gezwungen-frei ohne Gefälligkeit,
zu beweglich mit den Augen, zu unbeweglich mit
andern Gliedern war. Aber man muß diesen Hof-
und Schulleuten vorstellen: er konnte nichts dafür.
Der Rektor selber würde so gut wie Viktor verlegen
gewesen seyn, vor der schöngeisterischen Ministerin,
die zwar Meusel noch nicht, aber doch der Hof in
sein gelehrtes Deutschland gesetzt -- vor ihren persi¬
flirenden Töchtern, zumal vor der schönsten, die
Joachime hies -- vor einigen Fremden -- vor soviel

Seegefecht oder in ein Kontumazhaus, oder in den
ruſſiſchen Eispallaſt.

Meublen und Perſonen waren in Schleunes Hau¬
ſe vom feinſten Geſchmack. Viktor fand darin von
den Wackelfiguren und Hofleuten an bis zu den Ba¬
ſaltbuͤſten alter Gelehrten und zu den Puppen der
Schleunes'ſchen Toͤchter, vom geglaͤtteten Fußboden
bis zu den geglaͤtteten Geſichtern, vom Puderkabinet
bis zum Leſekabinet — beide kolorirten den Kopf
ſchon im Durchmarſch — kurz uͤberall fand er alles,
was die Prachtgeſetze je — verboten haben. Seine
erſte Verlegenheit bei der Fuͤrſtin gab ihm die Stim¬
mung zu einer zweiten. Es war der alte Vik¬
tor gar nicht mehr. Ich weis voraus, daß ihn die
loͤblichen Schullehrer am Marianum in Scheerau
daruͤber hart anlaſſen werden — zumal der Rektor
— daß er ſo wenig Welt hatte, daß er dort witzig
ohne Munterkeit, gezwungen-frei ohne Gefaͤlligkeit,
zu beweglich mit den Augen, zu unbeweglich mit
andern Gliedern war. Aber man muß dieſen Hof-
und Schulleuten vorſtellen: er konnte nichts dafuͤr.
Der Rektor ſelber wuͤrde ſo gut wie Viktor verlegen
geweſen ſeyn, vor der ſchoͤngeiſteriſchen Miniſterin,
die zwar Meuſel noch nicht, aber doch der Hof in
ſein gelehrtes Deutſchland geſetzt — vor ihren perſi¬
flirenden Toͤchtern, zumal vor der ſchoͤnſten, die
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[22/0032] Seegefecht oder in ein Kontumazhaus, oder in den ruſſiſchen Eispallaſt. Meublen und Perſonen waren in Schleunes Hau¬ ſe vom feinſten Geſchmack. Viktor fand darin von den Wackelfiguren und Hofleuten an bis zu den Ba¬ ſaltbuͤſten alter Gelehrten und zu den Puppen der Schleunes'ſchen Toͤchter, vom geglaͤtteten Fußboden bis zu den geglaͤtteten Geſichtern, vom Puderkabinet bis zum Leſekabinet — beide kolorirten den Kopf ſchon im Durchmarſch — kurz uͤberall fand er alles, was die Prachtgeſetze je — verboten haben. Seine erſte Verlegenheit bei der Fuͤrſtin gab ihm die Stim¬ mung zu einer zweiten. Es war der alte Vik¬ tor gar nicht mehr. Ich weis voraus, daß ihn die loͤblichen Schullehrer am Marianum in Scheerau daruͤber hart anlaſſen werden — zumal der Rektor — daß er ſo wenig Welt hatte, daß er dort witzig ohne Munterkeit, gezwungen-frei ohne Gefaͤlligkeit, zu beweglich mit den Augen, zu unbeweglich mit andern Gliedern war. Aber man muß dieſen Hof- und Schulleuten vorſtellen: er konnte nichts dafuͤr. Der Rektor ſelber wuͤrde ſo gut wie Viktor verlegen geweſen ſeyn, vor der ſchoͤngeiſteriſchen Miniſterin, die zwar Meuſel noch nicht, aber doch der Hof in ſein gelehrtes Deutſchland geſetzt — vor ihren perſi¬ flirenden Toͤchtern, zumal vor der ſchoͤnſten, die Joachime hies — vor einigen Fremden — vor ſoviel

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/32>, abgerufen am 21.11.2024.