Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

-- Hier winkte er dem Pfarrer, seine Schlaf¬
mütze hinzuwerfen, damit etwas Todtes da läge, an
das sich sein Affekt wenden könnte. --
"vor mir da liegen den unvergeßlichen H. Hofmedi¬
"kus Sebastian Viktor von Horion und gestorben ist
"er und will hinab unter das Erde Zudeck, in die
"Stätte voll langer Ruhe. Was sehen wir noch
"vor uns ruhen als die Täucherglocke, worin die be¬
deckte Seele in dieses Dunstleben hereinsank -- als
"die trockne Schaale eines Kerns, der in einem
"zweiten Planeten gesäet wird -- als seine Hülle,
"als, so zu sagen, die weggeworfne Schlafmütze sei¬
"nes erwachten Geistes.

"Besehet, weinende Zuhörer, diese tranßendente
"blasse Mütze -- hier liegt sie, der Kopf ist heraus,
"der darin sann -- unser Viktor ist dahin und
"schweigt, der so oft sprach von Mathematik, Kli¬
"nik, Heraldik, Kautelarjurisprudenz, medicina fo¬
"rensis, Sphragistik, und ihren Hülfswissenschaften --
"Wir haben viel an ihm verloren -- wer tröstet
"Sie, vortreflicher H. v. Schleunes, über diese Ein¬
"buße und so die andern Herren auch? -- Man
"hat aber in diesem närrischen Leben, das wohl
"eine Art von Vor-Tod seyn mag, gar nicht so viel
"Zeit, um ordentlich zu trösten. Nicht bloß Kir¬
"chenstühle sind auf Leichensteine gebauet, sondern

— Hier winkte er dem Pfarrer, ſeine Schlaf¬
muͤtze hinzuwerfen, damit etwas Todtes da laͤge, an
das ſich ſein Affekt wenden koͤnnte. —
»vor mir da liegen den unvergeßlichen H. Hofmedi¬
»kus Sebaſtian Viktor von Horion und geſtorben iſt
»er und will hinab unter das Erde Zudeck, in die
»Staͤtte voll langer Ruhe. Was ſehen wir noch
»vor uns ruhen als die Taͤucherglocke, worin die be¬
deckte Seele in dieſes Dunſtleben hereinſank — als
»die trockne Schaale eines Kerns, der in einem
»zweiten Planeten geſaͤet wird — als ſeine Huͤlle,
»als, ſo zu ſagen, die weggeworfne Schlafmuͤtze ſei¬
»nes erwachten Geiſtes.

»Beſehet, weinende Zuhoͤrer, dieſe tranſzendente
»blaſſe Muͤtze — hier liegt ſie, der Kopf iſt heraus,
»der darin ſann — unſer Viktor iſt dahin und
»ſchweigt, der ſo oft ſprach von Mathematik, Kli¬
»nik, Heraldik, Kautelarjurisprudenz, medicina fo¬
»rensis, Sphragiſtik, und ihren Huͤlfswiſſenſchaften —
»Wir haben viel an ihm verloren — wer troͤſtet
»Sie, vortreflicher H. v. Schleunes, uͤber dieſe Ein¬
»buße und ſo die andern Herren auch? — Man
»hat aber in dieſem naͤrriſchen Leben, das wohl
»eine Art von Vor-Tod ſeyn mag, gar nicht ſo viel
»Zeit, um ordentlich zu troͤſten. Nicht bloß Kir¬
»chenſtuͤhle ſind auf Leichenſteine gebauet, ſondern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0358" n="348"/>
            <p>&#x2014; Hier winkte er dem Pfarrer, &#x017F;eine Schlaf¬<lb/>
mu&#x0364;tze hinzuwerfen, damit etwas Todtes da la&#x0364;ge, an<lb/>
das &#x017F;ich &#x017F;ein Affekt wenden ko&#x0364;nnte. &#x2014;<lb/>
»vor mir da liegen den unvergeßlichen H. Hofmedi¬<lb/>
»kus Seba&#x017F;tian Viktor von Horion und ge&#x017F;torben i&#x017F;t<lb/>
»er und will hinab unter das Erde Zudeck, in die<lb/>
»Sta&#x0364;tte voll langer Ruhe. Was &#x017F;ehen wir noch<lb/>
»vor uns ruhen als die Ta&#x0364;ucherglocke, worin die be¬<lb/>
deckte Seele in die&#x017F;es Dun&#x017F;tleben herein&#x017F;ank &#x2014; als<lb/>
»die trockne Schaale eines Kerns, der in einem<lb/>
»zweiten Planeten ge&#x017F;a&#x0364;et wird &#x2014; als &#x017F;eine Hu&#x0364;lle,<lb/>
»als, &#x017F;o zu &#x017F;agen, die weggeworfne Schlafmu&#x0364;tze &#x017F;ei¬<lb/>
»nes erwachten Gei&#x017F;tes.</p><lb/>
            <p>»Be&#x017F;ehet, weinende Zuho&#x0364;rer, die&#x017F;e tran&#x017F;zendente<lb/>
»bla&#x017F;&#x017F;e Mu&#x0364;tze &#x2014; hier liegt &#x017F;ie, der Kopf i&#x017F;t heraus,<lb/>
»der darin &#x017F;ann &#x2014; un&#x017F;er Viktor i&#x017F;t dahin und<lb/>
»&#x017F;chweigt, der &#x017F;o oft &#x017F;prach von Mathematik, Kli¬<lb/>
»nik, Heraldik, Kautelarjurisprudenz, <hi rendition="#aq">medicina fo¬</hi><lb/>
»<hi rendition="#aq">rensis</hi>, Sphragi&#x017F;tik, und ihren Hu&#x0364;lfswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften &#x2014;<lb/>
»Wir haben viel an ihm verloren &#x2014; wer tro&#x0364;&#x017F;tet<lb/>
»Sie, vortreflicher H. v. Schleunes, u&#x0364;ber die&#x017F;e Ein¬<lb/>
»buße und &#x017F;o die andern Herren auch? &#x2014; Man<lb/>
»hat aber in die&#x017F;em na&#x0364;rri&#x017F;chen Leben, das wohl<lb/>
»eine Art von Vor-Tod &#x017F;eyn mag, gar nicht &#x017F;o viel<lb/>
»Zeit, um ordentlich zu tro&#x0364;&#x017F;ten. Nicht bloß Kir¬<lb/>
»chen&#x017F;tu&#x0364;hle &#x017F;ind auf Leichen&#x017F;teine gebauet, &#x017F;ondern<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[348/0358] — Hier winkte er dem Pfarrer, ſeine Schlaf¬ muͤtze hinzuwerfen, damit etwas Todtes da laͤge, an das ſich ſein Affekt wenden koͤnnte. — »vor mir da liegen den unvergeßlichen H. Hofmedi¬ »kus Sebaſtian Viktor von Horion und geſtorben iſt »er und will hinab unter das Erde Zudeck, in die »Staͤtte voll langer Ruhe. Was ſehen wir noch »vor uns ruhen als die Taͤucherglocke, worin die be¬ deckte Seele in dieſes Dunſtleben hereinſank — als »die trockne Schaale eines Kerns, der in einem »zweiten Planeten geſaͤet wird — als ſeine Huͤlle, »als, ſo zu ſagen, die weggeworfne Schlafmuͤtze ſei¬ »nes erwachten Geiſtes. »Beſehet, weinende Zuhoͤrer, dieſe tranſzendente »blaſſe Muͤtze — hier liegt ſie, der Kopf iſt heraus, »der darin ſann — unſer Viktor iſt dahin und »ſchweigt, der ſo oft ſprach von Mathematik, Kli¬ »nik, Heraldik, Kautelarjurisprudenz, medicina fo¬ »rensis, Sphragiſtik, und ihren Huͤlfswiſſenſchaften — »Wir haben viel an ihm verloren — wer troͤſtet »Sie, vortreflicher H. v. Schleunes, uͤber dieſe Ein¬ »buße und ſo die andern Herren auch? — Man »hat aber in dieſem naͤrriſchen Leben, das wohl »eine Art von Vor-Tod ſeyn mag, gar nicht ſo viel »Zeit, um ordentlich zu troͤſten. Nicht bloß Kir¬ »chenſtuͤhle ſind auf Leichenſteine gebauet, ſondern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/358
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/358>, abgerufen am 26.11.2024.