Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

[s]siger Zuschauer seyn muh, jeder von diesen ist
schon für sich auch ein mißvergnügter darin und
stösset in seine kritische Pfeife so lange gegen die
agirende Truppe bis sie ihn selber -- engagirt.
Kommen aber alle diese Ursachen gar in einem einzi¬
gen Menschen zusammen: so weis er gegen seine Gal¬
lenblase keinen Rath und keinen Gallengang als daß
er feines Papier nimmt und an die Eymannischen
in St. Lüne einen verdammt spöttischen Brief über
das Gesehene abläßt.

Mein Held ließ diesen an den Pfarrer ab:

"Mein lieber Hr. Adoptiv Vater!

-- Ich hatte bisher nicht soviel Zeit übrig, um
die Augen aufzuheben und zu sehen was wir für ei¬
nen Mond haben. Wahrhaftig einem Hof fehlts zur
Tugend schon -- an Zeit. Der Fürst führt mich
überall wie einen Flakon bei sich und zeigt seinen
närrischen Doktor vor. Mich werden sie bald nicht
ausstehen können, nicht weil ich etwan etwas tauge
-- ich bin vielmehr fest versichert, sie ertrügen den
tugendhaftesten Mann von der Welt eben so gut wie
den schlimmsten und das blos weil er ein Anglizis¬
mus, ein homme de Fantaisie, ein Naturspiel wäre
-- sondern weil ich nicht genug rede. Geschäftsleute
bekümmern sich um keinen Dialog und keinen Brief¬

muͤ[ſ]ſiger Zuſchauer ſeyn muh, jeder von dieſen iſt
ſchon fuͤr ſich auch ein mißvergnuͤgter darin und
ſtoͤſſet in ſeine kritiſche Pfeife ſo lange gegen die
agirende Truppe bis ſie ihn ſelber — engagirt.
Kommen aber alle dieſe Urſachen gar in einem einzi¬
gen Menſchen zuſammen: ſo weis er gegen ſeine Gal¬
lenblaſe keinen Rath und keinen Gallengang als daß
er feines Papier nimmt und an die Eymanniſchen
in St. Luͤne einen verdammt ſpoͤttiſchen Brief uͤber
das Geſehene ablaͤßt.

Mein Held ließ dieſen an den Pfarrer ab:

»Mein lieber Hr. Adoptiv Vater!

— Ich hatte bisher nicht ſoviel Zeit uͤbrig, um
die Augen aufzuheben und zu ſehen was wir fuͤr ei¬
nen Mond haben. Wahrhaftig einem Hof fehlts zur
Tugend ſchon — an Zeit. Der Fuͤrſt fuͤhrt mich
uͤberall wie einen Flakon bei ſich und zeigt ſeinen
naͤrriſchen Doktor vor. Mich werden ſie bald nicht
ausſtehen koͤnnen, nicht weil ich etwan etwas tauge
— ich bin vielmehr feſt verſichert, ſie ertruͤgen den
tugendhafteſten Mann von der Welt eben ſo gut wie
den ſchlimmſten und das blos weil er ein Anglizis¬
mus, ein homme de Fantaisie, ein Naturſpiel waͤre
— ſondern weil ich nicht genug rede. Geſchaͤftsleute
bekuͤmmern ſich um keinen Dialog und keinen Brief¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0037" n="27"/><hi rendition="#g">mu&#x0364;</hi><supplied><hi rendition="#g">&#x017F;</hi></supplied><hi rendition="#g">&#x017F;iger</hi> Zu&#x017F;chauer &#x017F;eyn muh, jeder von die&#x017F;en i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;chon fu&#x0364;r &#x017F;ich auch ein <hi rendition="#g">mißvergnu&#x0364;gter</hi> darin und<lb/>
&#x017F;to&#x0364;&#x017F;&#x017F;et in &#x017F;eine kriti&#x017F;che Pfeife &#x017F;o lange gegen die<lb/>
agirende Truppe bis &#x017F;ie ihn &#x017F;elber &#x2014; engagirt.<lb/>
Kommen aber alle die&#x017F;e Ur&#x017F;achen gar in einem einzi¬<lb/>
gen Men&#x017F;chen zu&#x017F;ammen: &#x017F;o weis er gegen &#x017F;eine Gal¬<lb/>
lenbla&#x017F;e keinen Rath und keinen Gallengang als daß<lb/>
er feines Papier nimmt und an die Eymanni&#x017F;chen<lb/>
in St. Lu&#x0364;ne einen verdammt &#x017F;po&#x0364;tti&#x017F;chen Brief u&#x0364;ber<lb/>
das Ge&#x017F;ehene abla&#x0364;ßt.</p><lb/>
          <p>Mein Held ließ die&#x017F;en an den Pfarrer ab:</p><lb/>
          <p rendition="#right">»Mein lieber Hr. Adoptiv Vater!</p><lb/>
          <p>&#x2014; Ich hatte bisher nicht &#x017F;oviel Zeit u&#x0364;brig, um<lb/>
die Augen aufzuheben und zu &#x017F;ehen was wir fu&#x0364;r ei¬<lb/>
nen Mond haben. Wahrhaftig einem Hof fehlts zur<lb/>
Tugend &#x017F;chon &#x2014; an <hi rendition="#g">Zeit</hi>. Der Fu&#x0364;r&#x017F;t fu&#x0364;hrt mich<lb/>
u&#x0364;berall wie einen Flakon bei &#x017F;ich und zeigt &#x017F;einen<lb/>
na&#x0364;rri&#x017F;chen Doktor vor. Mich werden &#x017F;ie bald nicht<lb/>
aus&#x017F;tehen ko&#x0364;nnen, nicht weil ich etwan etwas tauge<lb/>
&#x2014; ich bin vielmehr fe&#x017F;t ver&#x017F;ichert, &#x017F;ie ertru&#x0364;gen den<lb/>
tugendhafte&#x017F;ten Mann von der Welt eben &#x017F;o gut wie<lb/>
den &#x017F;chlimm&#x017F;ten und das blos weil er ein Anglizis¬<lb/>
mus, ein <hi rendition="#aq">homme de Fantaisie</hi>, ein Natur&#x017F;piel wa&#x0364;re<lb/>
&#x2014; &#x017F;ondern weil ich nicht genug rede. Ge&#x017F;cha&#x0364;ftsleute<lb/>
beku&#x0364;mmern &#x017F;ich um keinen Dialog und keinen Brief¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[27/0037] muͤſſiger Zuſchauer ſeyn muh, jeder von dieſen iſt ſchon fuͤr ſich auch ein mißvergnuͤgter darin und ſtoͤſſet in ſeine kritiſche Pfeife ſo lange gegen die agirende Truppe bis ſie ihn ſelber — engagirt. Kommen aber alle dieſe Urſachen gar in einem einzi¬ gen Menſchen zuſammen: ſo weis er gegen ſeine Gal¬ lenblaſe keinen Rath und keinen Gallengang als daß er feines Papier nimmt und an die Eymanniſchen in St. Luͤne einen verdammt ſpoͤttiſchen Brief uͤber das Geſehene ablaͤßt. Mein Held ließ dieſen an den Pfarrer ab: »Mein lieber Hr. Adoptiv Vater! — Ich hatte bisher nicht ſoviel Zeit uͤbrig, um die Augen aufzuheben und zu ſehen was wir fuͤr ei¬ nen Mond haben. Wahrhaftig einem Hof fehlts zur Tugend ſchon — an Zeit. Der Fuͤrſt fuͤhrt mich uͤberall wie einen Flakon bei ſich und zeigt ſeinen naͤrriſchen Doktor vor. Mich werden ſie bald nicht ausſtehen koͤnnen, nicht weil ich etwan etwas tauge — ich bin vielmehr feſt verſichert, ſie ertruͤgen den tugendhafteſten Mann von der Welt eben ſo gut wie den ſchlimmſten und das blos weil er ein Anglizis¬ mus, ein homme de Fantaisie, ein Naturſpiel waͤre — ſondern weil ich nicht genug rede. Geſchaͤftsleute bekuͤmmern ſich um keinen Dialog und keinen Brief¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/37
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/37>, abgerufen am 23.11.2024.