liegend sich vorwärts. Gleichwol wandte sie sich wieder um und that mit dem Himmels-Angesicht und mit der Himmels-Stimme die schöne Bitte an ihn: "Würdigen Sie dieser warmen Freundschaft auch meinen Bruder; und vergeben Sie der Schwe¬ ster heute diese Bitte, da ich sie vielleicht lange nicht erneuern kann." -- Er bückte sich tief und konnte nicht antworten.
Aber da ihr Wohnort ihnen jetzt entgegenschim¬ merte und ihr Schloß, von dem der Silberregen des Mondes niederrann -- da die Minute immer größer und dunkler herankam, worin ihm der Abschied, (vielleicht die Maske des Todes,) diesen stillen En¬ gel von der Seite nahm -- da ihm jede gleichgül¬ tige Abschiedsformel, die er sich aussinnen wollte, sein krankes Herz zerschnitt -- da er sah wie sie ihr Haupt auf die Hand und auf den Schleier lehnte, um unbemerkt die ersten Zeichen ihres Abschieds wegzunehmen oder aufzuhalten: so stürzte die ganze Wolke, die so lange einzelne Tropfen in seine Au¬ gen fallen lassen, zerrissen auf ihn nieder und über¬ flutete sein Herz. . . . . Er hielt plötzlich still . . . Er sah mit unversiegenden Augen gegen St. Lüne. . . . Klotilde kehrte sich um und sah ein entfärb¬ tes Angesicht, zwei Augen voll Thränen, eine Stirn voll Schmerzen und einen zitternden Mund und sag¬
liegend ſich vorwaͤrts. Gleichwol wandte ſie ſich wieder um und that mit dem Himmels-Angeſicht und mit der Himmels-Stimme die ſchoͤne Bitte an ihn: »Wuͤrdigen Sie dieſer warmen Freundſchaft auch meinen Bruder; und vergeben Sie der Schwe¬ ſter heute dieſe Bitte, da ich ſie vielleicht lange nicht erneuern kann.» — Er buͤckte ſich tief und konnte nicht antworten.
Aber da ihr Wohnort ihnen jetzt entgegenſchim¬ merte und ihr Schloß, von dem der Silberregen des Mondes niederrann — da die Minute immer groͤßer und dunkler herankam, worin ihm der Abſchied, (vielleicht die Maske des Todes,) dieſen ſtillen En¬ gel von der Seite nahm — da ihm jede gleichguͤl¬ tige Abſchiedsformel, die er ſich ausſinnen wollte, ſein krankes Herz zerſchnitt — da er ſah wie ſie ihr Haupt auf die Hand und auf den Schleier lehnte, um unbemerkt die erſten Zeichen ihres Abſchieds wegzunehmen oder aufzuhalten: ſo ſtuͤrzte die ganze Wolke, die ſo lange einzelne Tropfen in ſeine Au¬ gen fallen laſſen, zerriſſen auf ihn nieder und uͤber¬ flutete ſein Herz. . . . . Er hielt ploͤtzlich ſtill . . . Er ſah mit unverſiegenden Augen gegen St. Luͤne. . . . Klotilde kehrte ſich um und ſah ein entfaͤrb¬ tes Angeſicht, zwei Augen voll Thraͤnen, eine Stirn voll Schmerzen und einen zitternden Mund und ſag¬
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liegend ſich vorwaͤrts. Gleichwol wandte ſie ſich
wieder um und that mit dem Himmels-Angeſicht
und mit der Himmels-Stimme die ſchoͤne Bitte an
ihn: »Wuͤrdigen Sie dieſer warmen Freundſchaft
auch meinen Bruder; und vergeben Sie der Schwe¬
ſter heute dieſe Bitte, da ich ſie vielleicht lange nicht
erneuern kann.» — Er buͤckte ſich tief und konnte
nicht antworten.
Aber da ihr Wohnort ihnen jetzt entgegenſchim¬
merte und ihr Schloß, von dem der Silberregen des
Mondes niederrann — da die Minute immer groͤßer
und dunkler herankam, worin ihm der Abſchied,
(vielleicht die Maske des Todes,) dieſen ſtillen En¬
gel von der Seite nahm — da ihm jede gleichguͤl¬
tige Abſchiedsformel, die er ſich ausſinnen wollte,
ſein krankes Herz zerſchnitt — da er ſah wie ſie ihr
Haupt auf die Hand und auf den Schleier lehnte,
um unbemerkt die erſten Zeichen ihres Abſchieds
wegzunehmen oder aufzuhalten: ſo ſtuͤrzte die ganze
Wolke, die ſo lange einzelne Tropfen in ſeine Au¬
gen fallen laſſen, zerriſſen auf ihn nieder und uͤber¬
flutete ſein Herz. . . . . Er hielt ploͤtzlich ſtill . . .
Er ſah mit unverſiegenden Augen gegen St. Luͤne.
. . . Klotilde kehrte ſich um und ſah ein entfaͤrb¬
tes Angeſicht, zwei Augen voll Thraͤnen, eine Stirn
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/393>, abgerufen am 23.11.2024.
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