einem Jahre seine begleitende Freundinnen, hinun¬ terrollte und als der Mond nach dem optischen Schei¬ ne hinter den Bäumen durch den Himmel zu fliegen anfing: so richtete er seine Augen gegen die Sterne auf, und redete zurückgebogen, hinaufstarrend, zer¬ trümmert und ohne Besinnung den Himmel laut an: "tiefes blaues Grab über den Menschen, du versteckst "deine weiten Nächte hinter zusammengerückten Son¬ "nen! Du ziehest uns und unsre Thränen hinauf "wie Dünste. -- Ach werfe nicht die armen sich so "kurz sehenden Menschen so weit auseinander, nicht "so unendlich weit! -- Ach warum kann der Mensch "nicht hinaufblicken zu dir, ohne zu denken: "wer weiß, welches geliebte Herz ich droben nach "einem Jahre suchen muß!" --
Seine verdunkelten Augen fielen schmerzhaft vom Himmel herab -- auf Klotildens ihre, die aufgeho¬ ben seinen gegenüberstanden. Sie konnte die Thräne, die vom Auge erst bis zur Wange gefallen war, we¬ der durch den Schleier entziehen noch für eine auf dem Angesicht zergangene Schneeflocke ausgeben, da der Schleier die Flocken abstieß: aber eine solche Thräne hatte keinen Schleier nöthig. Klotilde hat¬ te gedacht, er meine blos Emanuel und darum wur¬ de sie weich . . . Wie zwei scheidende Engel schau¬ ten beide sich mit weinenden Augen an. Aber Klo¬ tilde zog die ihrigen ab und ihr Haupt bückte er¬
einem Jahre ſeine begleitende Freundinnen, hinun¬ terrollte und als der Mond nach dem optiſchen Schei¬ ne hinter den Baͤumen durch den Himmel zu fliegen anfing: ſo richtete er ſeine Augen gegen die Sterne auf, und redete zuruͤckgebogen, hinaufſtarrend, zer¬ truͤmmert und ohne Beſinnung den Himmel laut an: »tiefes blaues Grab uͤber den Menſchen, du verſteckſt »deine weiten Naͤchte hinter zuſammengeruͤckten Son¬ »nen! Du zieheſt uns und unſre Thraͤnen hinauf »wie Duͤnſte. — Ach werfe nicht die armen ſich ſo »kurz ſehenden Menſchen ſo weit auseinander, nicht »ſo unendlich weit! — Ach warum kann der Menſch »nicht hinaufblicken zu dir, ohne zu denken: »wer weiß, welches geliebte Herz ich droben nach »einem Jahre ſuchen muß!» —
Seine verdunkelten Augen fielen ſchmerzhaft vom Himmel herab — auf Klotildens ihre, die aufgeho¬ ben ſeinen gegenuͤberſtanden. Sie konnte die Thraͤne, die vom Auge erſt bis zur Wange gefallen war, we¬ der durch den Schleier entziehen noch fuͤr eine auf dem Angeſicht zergangene Schneeflocke ausgeben, da der Schleier die Flocken abſtieß: aber eine ſolche Thraͤne hatte keinen Schleier noͤthig. Klotilde hat¬ te gedacht, er meine blos Emanuel und darum wur¬ de ſie weich . . . Wie zwei ſcheidende Engel ſchau¬ ten beide ſich mit weinenden Augen an. Aber Klo¬ tilde zog die ihrigen ab und ihr Haupt buͤckte er¬
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einem Jahre ſeine begleitende Freundinnen, hinun¬
terrollte und als der Mond nach dem optiſchen Schei¬
ne hinter den Baͤumen durch den Himmel zu fliegen
anfing: ſo richtete er ſeine Augen gegen die Sterne
auf, und redete zuruͤckgebogen, hinaufſtarrend, zer¬
truͤmmert und ohne Beſinnung den Himmel laut an:
»tiefes blaues Grab uͤber den Menſchen, du verſteckſt
»deine weiten Naͤchte hinter zuſammengeruͤckten Son¬
»nen! Du zieheſt uns und unſre Thraͤnen hinauf
»wie Duͤnſte. — Ach werfe nicht die armen ſich ſo
»kurz ſehenden Menſchen ſo weit auseinander, nicht
»ſo unendlich weit! — Ach warum kann der Menſch
»nicht hinaufblicken zu dir, ohne zu denken:
»wer weiß, welches geliebte Herz ich droben nach
»einem Jahre ſuchen muß!» —
Seine verdunkelten Augen fielen ſchmerzhaft vom
Himmel herab — auf Klotildens ihre, die aufgeho¬
ben ſeinen gegenuͤberſtanden. Sie konnte die Thraͤne,
die vom Auge erſt bis zur Wange gefallen war, we¬
der durch den Schleier entziehen noch fuͤr eine auf
dem Angeſicht zergangene Schneeflocke ausgeben, da
der Schleier die Flocken abſtieß: aber eine ſolche
Thraͤne hatte keinen Schleier noͤthig. Klotilde hat¬
te gedacht, er meine blos Emanuel und darum wur¬
de ſie weich . . . Wie zwei ſcheidende Engel ſchau¬
ten beide ſich mit weinenden Augen an. Aber Klo¬
tilde zog die ihrigen ab und ihr Haupt buͤckte er¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/392>, abgerufen am 23.11.2024.
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