heissen Thränengüsse -- Er fragte zitternd wieder: "O mein Fehler wird immer größer, werden Sie "ihn denn ganz verzeihen?" . . .
Da verhüllte sie das erröthende Angesicht in den verdoppelten Schleier und stammelte abgewandt: "ach dann muß ich ihn theilen, edler Freund meines "Lehrers." -- --
Seeliger, seeliger Mensch! nach diesem Wort bietet dir das ganze Erdenleben keinen größern Him¬ mel an! Ruhe nun in stillem Entzücken mit dem überwältigten Angesicht auf der Engelshand, in die das edelste Herz das für die Tugend wallende Blut ausgiesset! Weine alle deine Freudenthränen auf die gute Hand, die dir sie gegeben hat! Und dann: wenn du es vermagst vor Entzücken oder vor Ehr¬ furcht, dann hebe dein reines glänzendes Auge auf und zeig' ihr darin den Blick der erhabnen Liebe, den Blick der ewigen Liebe und der stummen, und der seeligen und der unaussprechlichen! --
Ach der, den einmal eine Klotilde geliebt hätte der könnte jetzt vor Entzückung nicht weiter lesen -- nicht weiter schreiben . . . . . oder auch vor Schmerz! --
Jetzt legte er den schönern Weg schweigend und geheiligt zurück -- Der Mond hing wie ein bethau¬ ter mit weissen Blüten überlegter Morgen vom Himmel herab -- Der Frühling bewegte seine Auen und seine Blumen unter dem Schleier von Schnee -- das Entzücken schlug in Viktors Herzen, schwoll in seiner Brust, glänzt' in seinem Auge -- aber die Sprachlosigkeit der Ehrfurcht herrschte über das Entzücken. . . . Sie kamen an. Und als beide im Zimmer der Harmonika, wo man Abends vor Schmerzen ihre Hand ergriffen hatte, einander einsam gegenüber standen, so verändert, so see¬
Hesperus. II. Th. B h
heiſſen Thraͤnenguͤſſe — Er fragte zitternd wieder: »O mein Fehler wird immer groͤßer, werden Sie »ihn denn ganz verzeihen?« . . .
Da verhuͤllte ſie das erroͤthende Angeſicht in den verdoppelten Schleier und ſtammelte abgewandt: »ach dann muß ich ihn theilen, edler Freund meines »Lehrers.« — —
Seeliger, ſeeliger Menſch! nach dieſem Wort bietet dir das ganze Erdenleben keinen groͤßern Him¬ mel an! Ruhe nun in ſtillem Entzuͤcken mit dem uͤberwaͤltigten Angeſicht auf der Engelshand, in die das edelſte Herz das fuͤr die Tugend wallende Blut ausgieſſet! Weine alle deine Freudenthraͤnen auf die gute Hand, die dir ſie gegeben hat! Und dann: wenn du es vermagſt vor Entzuͤcken oder vor Ehr¬ furcht, dann hebe dein reines glaͤnzendes Auge auf und zeig' ihr darin den Blick der erhabnen Liebe, den Blick der ewigen Liebe und der ſtummen, und der ſeeligen und der unausſprechlichen! —
Ach der, den einmal eine Klotilde geliebt haͤtte der koͤnnte jetzt vor Entzuͤckung nicht weiter leſen — nicht weiter ſchreiben . . . . . oder auch vor Schmerz! —
Jetzt legte er den ſchoͤnern Weg ſchweigend und geheiligt zuruͤck — Der Mond hing wie ein bethau¬ ter mit weiſſen Bluͤten uͤberlegter Morgen vom Himmel herab — Der Fruͤhling bewegte ſeine Auen und ſeine Blumen unter dem Schleier von Schnee — das Entzuͤcken ſchlug in Viktors Herzen, ſchwoll in ſeiner Bruſt, glaͤnzt' in ſeinem Auge — aber die Sprachloſigkeit der Ehrfurcht herrſchte uͤber das Entzuͤcken. . . . Sie kamen an. Und als beide im Zimmer der Harmonika, wo man Abends vor Schmerzen ihre Hand ergriffen hatte, einander einſam gegenuͤber ſtanden, ſo veraͤndert, ſo ſee¬
Heſperus. II. Th. B h
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heiſſen Thraͤnenguͤſſe — Er fragte zitternd wieder:
»O mein Fehler wird immer groͤßer, werden Sie
»ihn denn ganz verzeihen?« . . .
Da verhuͤllte ſie das erroͤthende Angeſicht in den
verdoppelten Schleier und ſtammelte abgewandt:
»ach dann muß ich ihn theilen, edler Freund meines
»Lehrers.« — —
Seeliger, ſeeliger Menſch! nach dieſem Wort
bietet dir das ganze Erdenleben keinen groͤßern Him¬
mel an! Ruhe nun in ſtillem Entzuͤcken mit dem
uͤberwaͤltigten Angeſicht auf der Engelshand, in die
das edelſte Herz das fuͤr die Tugend wallende Blut
ausgieſſet! Weine alle deine Freudenthraͤnen auf die
gute Hand, die dir ſie gegeben hat! Und dann:
wenn du es vermagſt vor Entzuͤcken oder vor Ehr¬
furcht, dann hebe dein reines glaͤnzendes Auge auf
und zeig' ihr darin den Blick der erhabnen Liebe,
den Blick der ewigen Liebe und der ſtummen, und
der ſeeligen und der unausſprechlichen! —
Ach der, den einmal eine Klotilde geliebt haͤtte
der koͤnnte jetzt vor Entzuͤckung nicht weiter leſen
— nicht weiter ſchreiben . . . . . oder auch vor
Schmerz! —
Jetzt legte er den ſchoͤnern Weg ſchweigend und
geheiligt zuruͤck — Der Mond hing wie ein bethau¬
ter mit weiſſen Bluͤten uͤberlegter Morgen vom
Himmel herab — Der Fruͤhling bewegte ſeine
Auen und ſeine Blumen unter dem Schleier von
Schnee — das Entzuͤcken ſchlug in Viktors Herzen,
ſchwoll in ſeiner Bruſt, glaͤnzt' in ſeinem Auge —
aber die Sprachloſigkeit der Ehrfurcht herrſchte uͤber
das Entzuͤcken. . . . Sie kamen an. Und als beide
im Zimmer der Harmonika, wo man Abends vor
Schmerzen ihre Hand ergriffen hatte, einander
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/395>, abgerufen am 23.11.2024.
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