man sein Leben und seine Seele verfrist und versäuft, und Wien, wo man vielleicht den entgegengesetzten Fehler eines partischen Ausmergelns nicht genug vermeidet. Die Klein-Wiener öfnen dem Genuß der Natur weniger ihr Herz als ihren Magenmund -- Auen sind die Küchenstücke ihres Viehes und Gärten die ihrer Besitzer -- die Milchstraße fesselt und sättigt ihren Geist (ob sie gleich länger ist) nicht halb so sehr wie die Königsberger Bratwurst von 1583. es thäte, welche fünf hundert und sechs und neunzig Ellen lang und viermal schwerer war als der Gelehrte selber, der sie der Nachwelt geschildert, Herr Wagenseil*). -- -- Sind das die Züge, auf welche die Fuhrleute den Namen Klein-Wien fundiren? Ich war oft in Groß-Wien und kenne die Groskreuze, Kleinkreuze und Kommandeu[r]s des Temperanzordens, der dort so gemein ist, persön¬ lich: ich kann also allerdings einen gültigen Zeugen abgeben und mir ist zu glauben, wenn ich -- da man in Klein-Wien ausserordentlich säuft -- von Groß-Wien, und ausdrücklich von dessen Kloster¬ leuten ganz etwas anders verfechte: sie haben nicht nur immerfort den größten Durst -- der doch weg seyn müßte, wenn man ihn löschte -- sondern sie
*) Es ist der mit den langen Schuhen, in seiner "Erziehung "eines jungen Prinzen 1705."
man ſein Leben und ſeine Seele verfriſt und verſaͤuft, und Wien, wo man vielleicht den entgegengeſetzten Fehler eines partiſchen Ausmergelns nicht genug vermeidet. Die Klein-Wiener oͤfnen dem Genuß der Natur weniger ihr Herz als ihren Magenmund — Auen ſind die Kuͤchenſtuͤcke ihres Viehes und Gaͤrten die ihrer Beſitzer — die Milchſtraße feſſelt und ſaͤttigt ihren Geiſt (ob ſie gleich laͤnger iſt) nicht halb ſo ſehr wie die Koͤnigsberger Bratwurſt von 1583. es thaͤte, welche fuͤnf hundert und ſechs und neunzig Ellen lang und viermal ſchwerer war als der Gelehrte ſelber, der ſie der Nachwelt geſchildert, Herr Wagenſeil*). — — Sind das die Zuͤge, auf welche die Fuhrleute den Namen Klein-Wien fundiren? Ich war oft in Groß-Wien und kenne die Groskreuze, Kleinkreuze und Kommandeu[r]s des Temperanzordens, der dort ſo gemein iſt, perſoͤn¬ lich: ich kann alſo allerdings einen guͤltigen Zeugen abgeben und mir iſt zu glauben, wenn ich — da man in Klein-Wien auſſerordentlich ſaͤuft — von Groß-Wien, und ausdruͤcklich von deſſen Kloſter¬ leuten ganz etwas anders verfechte: ſie haben nicht nur immerfort den groͤßten Durſt — der doch weg ſeyn muͤßte, wenn man ihn loͤſchte — ſondern ſie
*) Es iſt der mit den langen Schuhen, in ſeiner ”Erziehung ”eines jungen Prinzen 1705.”
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man ſein Leben und ſeine Seele verfriſt und verſaͤuft,
und Wien, wo man vielleicht den entgegengeſetzten
Fehler eines partiſchen Ausmergelns nicht genug
vermeidet. Die Klein-Wiener oͤfnen dem Genuß
der Natur weniger ihr Herz als ihren Magenmund
— Auen ſind die Kuͤchenſtuͤcke ihres Viehes und
Gaͤrten die ihrer Beſitzer — die Milchſtraße feſſelt
und ſaͤttigt ihren Geiſt (ob ſie gleich laͤnger iſt) nicht
halb ſo ſehr wie die Koͤnigsberger Bratwurſt von
1583. es thaͤte, welche fuͤnf hundert und ſechs und
neunzig Ellen lang und viermal ſchwerer war als der
Gelehrte ſelber, der ſie der Nachwelt geſchildert,
Herr Wagenſeil *). — — Sind das die Zuͤge,
auf welche die Fuhrleute den Namen Klein-Wien
fundiren? Ich war oft in Groß-Wien und kenne
die Groskreuze, Kleinkreuze und Kommandeurs des
Temperanzordens, der dort ſo gemein iſt, perſoͤn¬
lich: ich kann alſo allerdings einen guͤltigen Zeugen
abgeben und mir iſt zu glauben, wenn ich — da
man in Klein-Wien auſſerordentlich ſaͤuft — von
Groß-Wien, und ausdruͤcklich von deſſen Kloſter¬
leuten ganz etwas anders verfechte: ſie haben nicht
nur immerfort den groͤßten Durſt — der doch weg
ſeyn muͤßte, wenn man ihn loͤſchte — ſondern ſie
*) Es iſt der mit den langen Schuhen, in ſeiner ”Erziehung
”eines jungen Prinzen 1705.”
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/69>, abgerufen am 21.11.2024.
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