bedienen sich auch gegen die Besoffenheit eines schönen Mittels vom Plato. Dieser Alte giebt uns den Rath, im Soff in einen Spiegel zu schauen, um durch die zerrissene Gestalt, die uns darin an unsre Entehrung erinnert, auf immer davon abge¬ mahnet zu seyn. Daher stellen oft ganze Domkapi¬ tel, der Dechant, der Subsenior, die Domizellaren u. s. w. Gefäße mit Wein oder Bier vor sich hin und heben sie an die Augen und besehen in diesem metamorphotischen Spiegel, der die entstellten Züge noch mehr entstellt (weil er wackelt), sich schon lange nach des Philosophen Rath. Ich frage aber, ob Leute, die beständig so tief ins Glas gucken, Trin¬ ken lieben können? --
Daraus folgt aber nicht, daß ich den Groß-Wie¬ nern die Aehnlichkeit mit den Flachsenfingern auch in solchen Zügen nehme, die ehren. So sprech' ichs z. B. jenen ganz und gar nicht ab, daß sie diesen darin gleichen, an keiner Dichtkunst, keiner Schwär¬ merei und Empfindsamkeit -- denn das ist alles ei¬ nerlei -- zu siechen. Viktor würde dieses Lob in seiner Sprache so klingen lassen: "die Wiener Auto¬ "ren (selber die besten, nur Denis und kaum drei "ausgenommen) geben dem Leser keine über die gan¬ "ze Gegenwart tragende Flügel durch jenen Seelen¬ "Adel, durch jene Verschmähung der Erde, durch "jene Achtung für alte Tugend und Freiheit und
bedienen ſich auch gegen die Beſoffenheit eines ſchoͤnen Mittels vom Plato. Dieſer Alte giebt uns den Rath, im Soff in einen Spiegel zu ſchauen, um durch die zerriſſene Geſtalt, die uns darin an unſre Entehrung erinnert, auf immer davon abge¬ mahnet zu ſeyn. Daher ſtellen oft ganze Domkapi¬ tel, der Dechant, der Subſenior, die Domizellaren u. ſ. w. Gefaͤße mit Wein oder Bier vor ſich hin und heben ſie an die Augen und beſehen in dieſem metamorphotiſchen Spiegel, der die entſtellten Zuͤge noch mehr entſtellt (weil er wackelt), ſich ſchon lange nach des Philoſophen Rath. Ich frage aber, ob Leute, die beſtaͤndig ſo tief ins Glas gucken, Trin¬ ken lieben koͤnnen? —
Daraus folgt aber nicht, daß ich den Groß-Wie¬ nern die Aehnlichkeit mit den Flachſenfingern auch in ſolchen Zuͤgen nehme, die ehren. So ſprech' ichs z. B. jenen ganz und gar nicht ab, daß ſie dieſen darin gleichen, an keiner Dichtkunſt, keiner Schwaͤr¬ merei und Empfindſamkeit — denn das iſt alles ei¬ nerlei — zu ſiechen. Viktor wuͤrde dieſes Lob in ſeiner Sprache ſo klingen laſſen: »die Wiener Auto¬ »ren (ſelber die beſten, nur Denis und kaum drei »ausgenommen) geben dem Leſer keine uͤber die gan¬ »ze Gegenwart tragende Fluͤgel durch jenen Seelen¬ »Adel, durch jene Verſchmaͤhung der Erde, durch »jene Achtung fuͤr alte Tugend und Freiheit und
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bedienen ſich auch gegen die Beſoffenheit eines
ſchoͤnen Mittels vom Plato. Dieſer Alte giebt uns
den Rath, im Soff in einen Spiegel zu ſchauen,
um durch die zerriſſene Geſtalt, die uns darin an
unſre Entehrung erinnert, auf immer davon abge¬
mahnet zu ſeyn. Daher ſtellen oft ganze Domkapi¬
tel, der Dechant, der Subſenior, die Domizellaren
u. ſ. w. Gefaͤße mit Wein oder Bier vor ſich hin
und heben ſie an die Augen und beſehen in dieſem
metamorphotiſchen Spiegel, der die entſtellten
Zuͤge noch mehr entſtellt (weil er wackelt), ſich ſchon
lange nach des Philoſophen Rath. Ich frage aber, ob
Leute, die beſtaͤndig ſo tief ins Glas gucken, Trin¬
ken lieben koͤnnen? —
Daraus folgt aber nicht, daß ich den Groß-Wie¬
nern die Aehnlichkeit mit den Flachſenfingern auch in
ſolchen Zuͤgen nehme, die ehren. So ſprech' ichs
z. B. jenen ganz und gar nicht ab, daß ſie dieſen
darin gleichen, an keiner Dichtkunſt, keiner Schwaͤr¬
merei und Empfindſamkeit — denn das iſt alles ei¬
nerlei — zu ſiechen. Viktor wuͤrde dieſes Lob in
ſeiner Sprache ſo klingen laſſen: »die Wiener Auto¬
»ren (ſelber die beſten, nur Denis und kaum drei
»ausgenommen) geben dem Leſer keine uͤber die gan¬
»ze Gegenwart tragende Fluͤgel durch jenen Seelen¬
»Adel, durch jene Verſchmaͤhung der Erde, durch
»jene Achtung fuͤr alte Tugend und Freiheit und
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/70>, abgerufen am 21.11.2024.
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