Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

alle Kirchenmusiken, die in seiner Perückendiözes ge¬
macht werden, einmengt, zumal am h. Pfingstfest.
Der Lüner Kantor wollt' es nie leiden; aber wie be¬
rückt er diesen und labt tausend Ohren? So bloß:
er frisirte heute hinaus was noch zu frisiren war
(nicht bloß heute, sondern es ging allemal so) und
glitt bloß an der Chortreppe hinan. Hier wachte
und lehnt' er so lange bis der Kantor, auf dem mu¬
sikalischen Wurstschlitten seßhaft, mit dem Finger in
den ersten Akord der Kirchenmusik einhieb. Dann
fuhr er neben einem Sonnenstral -- aber nicht lang¬
samer -- ins Chor und mausete dem jungen Altisten
sein Pensum weg und sangs dem Kirchensprengel in
die Ohren, aber unter so viel Jammer nnd Puffen
als säng' er sein Manuskript den Rezensenten. Denn
man muß es nun einmal der Welt bekannt machen,
daß der bissige Klavierist dem frisirenden Altisten
mit einem spitzwinklichten Triangel von Ellbogen
wüthich entgegenstochert, um den fremden Singvogel
aus der Volerie des Chors zu stoßen. Da aber der
Sänger seinen rechten Arm zum festen Notenpulte
seines Textes und den andern zur Streitkolbe mach¬
te, wie die an Jerusalem bauenden Juden die eine
Hand voll Bauzeug, die andere voll Waffen hatten:
so konnte der Perückenmacher, unter fortwährendem
Fechten und Musiziren, schon sein Möglichstes thun
und einiges durchsetzen während des Gottesfriedens

alle Kirchenmuſiken, die in ſeiner Peruͤckendioͤzes ge¬
macht werden, einmengt, zumal am h. Pfingſtfeſt.
Der Luͤner Kantor wollt' es nie leiden; aber wie be¬
ruͤckt er dieſen und labt tauſend Ohren? So bloß:
er friſirte heute hinaus was noch zu friſiren war
(nicht bloß heute, ſondern es ging allemal ſo) und
glitt bloß an der Chortreppe hinan. Hier wachte
und lehnt' er ſo lange bis der Kantor, auf dem mu¬
ſikaliſchen Wurſtſchlitten ſeßhaft, mit dem Finger in
den erſten Akord der Kirchenmuſik einhieb. Dann
fuhr er neben einem Sonnenſtral — aber nicht lang¬
ſamer — ins Chor und mauſete dem jungen Altiſten
ſein Penſum weg und ſangs dem Kirchenſprengel in
die Ohren, aber unter ſo viel Jammer nnd Puffen
als ſaͤng' er ſein Manuſkript den Rezenſenten. Denn
man muß es nun einmal der Welt bekannt machen,
daß der biſſige Klavieriſt dem friſirenden Altiſten
mit einem ſpitzwinklichten Triangel von Ellbogen
wuͤthich entgegenſtochert, um den fremden Singvogel
aus der Volerie des Chors zu ſtoßen. Da aber der
Saͤnger ſeinen rechten Arm zum feſten Notenpulte
ſeines Textes und den andern zur Streitkolbe mach¬
te, wie die an Jeruſalem bauenden Juden die eine
Hand voll Bauzeug, die andere voll Waffen hatten:
ſo konnte der Peruͤckenmacher, unter fortwaͤhrendem
Fechten und Muſiziren, ſchon ſein Moͤglichſtes thun
und einiges durchſetzen waͤhrend des Gottesfriedens

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0086" n="76"/>
alle Kirchenmu&#x017F;iken, die in &#x017F;einer Peru&#x0364;ckendio&#x0364;zes ge¬<lb/>
macht werden, einmengt, zumal am h. Pfing&#x017F;tfe&#x017F;t.<lb/>
Der Lu&#x0364;ner Kantor wollt' es nie leiden; aber wie be¬<lb/>
ru&#x0364;ckt er die&#x017F;en und labt tau&#x017F;end Ohren? So bloß:<lb/>
er fri&#x017F;irte heute hinaus was noch zu fri&#x017F;iren war<lb/>
(nicht bloß heute, &#x017F;ondern es ging allemal &#x017F;o) und<lb/>
glitt bloß an der Chortreppe hinan. Hier wachte<lb/>
und lehnt' er &#x017F;o lange bis der Kantor, auf dem mu¬<lb/>
&#x017F;ikali&#x017F;chen Wur&#x017F;t&#x017F;chlitten &#x017F;eßhaft, mit dem Finger in<lb/>
den er&#x017F;ten Akord der Kirchenmu&#x017F;ik einhieb. Dann<lb/>
fuhr er neben einem Sonnen&#x017F;tral &#x2014; aber nicht lang¬<lb/>
&#x017F;amer &#x2014; ins Chor und mau&#x017F;ete dem jungen Alti&#x017F;ten<lb/>
&#x017F;ein Pen&#x017F;um weg und &#x017F;angs dem Kirchen&#x017F;prengel in<lb/>
die Ohren, aber unter &#x017F;o viel Jammer nnd Puffen<lb/>
als &#x017F;a&#x0364;ng' er &#x017F;ein Manu&#x017F;kript den Rezen&#x017F;enten. Denn<lb/>
man muß es nun einmal der Welt bekannt machen,<lb/>
daß der bi&#x017F;&#x017F;ige Klavieri&#x017F;t dem fri&#x017F;irenden Alti&#x017F;ten<lb/>
mit einem &#x017F;pitzwinklichten Triangel von Ellbogen<lb/>
wu&#x0364;thich entgegen&#x017F;tochert, um den fremden Singvogel<lb/>
aus der Volerie des Chors zu &#x017F;toßen. Da aber der<lb/>
Sa&#x0364;nger &#x017F;einen rechten Arm zum fe&#x017F;ten Notenpulte<lb/>
&#x017F;eines Textes und den andern zur Streitkolbe mach¬<lb/>
te, wie die an Jeru&#x017F;alem bauenden Juden die eine<lb/>
Hand voll Bauzeug, die andere voll Waffen hatten:<lb/>
&#x017F;o konnte der Peru&#x0364;ckenmacher, unter fortwa&#x0364;hrendem<lb/>
Fechten und Mu&#x017F;iziren, &#x017F;chon &#x017F;ein Mo&#x0364;glich&#x017F;tes thun<lb/>
und einiges durch&#x017F;etzen wa&#x0364;hrend des Gottesfriedens<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0086] alle Kirchenmuſiken, die in ſeiner Peruͤckendioͤzes ge¬ macht werden, einmengt, zumal am h. Pfingſtfeſt. Der Luͤner Kantor wollt' es nie leiden; aber wie be¬ ruͤckt er dieſen und labt tauſend Ohren? So bloß: er friſirte heute hinaus was noch zu friſiren war (nicht bloß heute, ſondern es ging allemal ſo) und glitt bloß an der Chortreppe hinan. Hier wachte und lehnt' er ſo lange bis der Kantor, auf dem mu¬ ſikaliſchen Wurſtſchlitten ſeßhaft, mit dem Finger in den erſten Akord der Kirchenmuſik einhieb. Dann fuhr er neben einem Sonnenſtral — aber nicht lang¬ ſamer — ins Chor und mauſete dem jungen Altiſten ſein Penſum weg und ſangs dem Kirchenſprengel in die Ohren, aber unter ſo viel Jammer nnd Puffen als ſaͤng' er ſein Manuſkript den Rezenſenten. Denn man muß es nun einmal der Welt bekannt machen, daß der biſſige Klavieriſt dem friſirenden Altiſten mit einem ſpitzwinklichten Triangel von Ellbogen wuͤthich entgegenſtochert, um den fremden Singvogel aus der Volerie des Chors zu ſtoßen. Da aber der Saͤnger ſeinen rechten Arm zum feſten Notenpulte ſeines Textes und den andern zur Streitkolbe mach¬ te, wie die an Jeruſalem bauenden Juden die eine Hand voll Bauzeug, die andere voll Waffen hatten: ſo konnte der Peruͤckenmacher, unter fortwaͤhrendem Fechten und Muſiziren, ſchon ſein Moͤglichſtes thun und einiges durchſetzen waͤhrend des Gottesfriedens

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/86
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/86>, abgerufen am 21.11.2024.