alle Kirchenmusiken, die in seiner Perückendiözes ge¬ macht werden, einmengt, zumal am h. Pfingstfest. Der Lüner Kantor wollt' es nie leiden; aber wie be¬ rückt er diesen und labt tausend Ohren? So bloß: er frisirte heute hinaus was noch zu frisiren war (nicht bloß heute, sondern es ging allemal so) und glitt bloß an der Chortreppe hinan. Hier wachte und lehnt' er so lange bis der Kantor, auf dem mu¬ sikalischen Wurstschlitten seßhaft, mit dem Finger in den ersten Akord der Kirchenmusik einhieb. Dann fuhr er neben einem Sonnenstral -- aber nicht lang¬ samer -- ins Chor und mausete dem jungen Altisten sein Pensum weg und sangs dem Kirchensprengel in die Ohren, aber unter so viel Jammer nnd Puffen als säng' er sein Manuskript den Rezensenten. Denn man muß es nun einmal der Welt bekannt machen, daß der bissige Klavierist dem frisirenden Altisten mit einem spitzwinklichten Triangel von Ellbogen wüthich entgegenstochert, um den fremden Singvogel aus der Volerie des Chors zu stoßen. Da aber der Sänger seinen rechten Arm zum festen Notenpulte seines Textes und den andern zur Streitkolbe mach¬ te, wie die an Jerusalem bauenden Juden die eine Hand voll Bauzeug, die andere voll Waffen hatten: so konnte der Perückenmacher, unter fortwährendem Fechten und Musiziren, schon sein Möglichstes thun und einiges durchsetzen während des Gottesfriedens
alle Kirchenmuſiken, die in ſeiner Peruͤckendioͤzes ge¬ macht werden, einmengt, zumal am h. Pfingſtfeſt. Der Luͤner Kantor wollt' es nie leiden; aber wie be¬ ruͤckt er dieſen und labt tauſend Ohren? So bloß: er friſirte heute hinaus was noch zu friſiren war (nicht bloß heute, ſondern es ging allemal ſo) und glitt bloß an der Chortreppe hinan. Hier wachte und lehnt' er ſo lange bis der Kantor, auf dem mu¬ ſikaliſchen Wurſtſchlitten ſeßhaft, mit dem Finger in den erſten Akord der Kirchenmuſik einhieb. Dann fuhr er neben einem Sonnenſtral — aber nicht lang¬ ſamer — ins Chor und mauſete dem jungen Altiſten ſein Penſum weg und ſangs dem Kirchenſprengel in die Ohren, aber unter ſo viel Jammer nnd Puffen als ſaͤng' er ſein Manuſkript den Rezenſenten. Denn man muß es nun einmal der Welt bekannt machen, daß der biſſige Klavieriſt dem friſirenden Altiſten mit einem ſpitzwinklichten Triangel von Ellbogen wuͤthich entgegenſtochert, um den fremden Singvogel aus der Volerie des Chors zu ſtoßen. Da aber der Saͤnger ſeinen rechten Arm zum feſten Notenpulte ſeines Textes und den andern zur Streitkolbe mach¬ te, wie die an Jeruſalem bauenden Juden die eine Hand voll Bauzeug, die andere voll Waffen hatten: ſo konnte der Peruͤckenmacher, unter fortwaͤhrendem Fechten und Muſiziren, ſchon ſein Moͤglichſtes thun und einiges durchſetzen waͤhrend des Gottesfriedens
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alle Kirchenmuſiken, die in ſeiner Peruͤckendioͤzes ge¬
macht werden, einmengt, zumal am h. Pfingſtfeſt.
Der Luͤner Kantor wollt' es nie leiden; aber wie be¬
ruͤckt er dieſen und labt tauſend Ohren? So bloß:
er friſirte heute hinaus was noch zu friſiren war
(nicht bloß heute, ſondern es ging allemal ſo) und
glitt bloß an der Chortreppe hinan. Hier wachte
und lehnt' er ſo lange bis der Kantor, auf dem mu¬
ſikaliſchen Wurſtſchlitten ſeßhaft, mit dem Finger in
den erſten Akord der Kirchenmuſik einhieb. Dann
fuhr er neben einem Sonnenſtral — aber nicht lang¬
ſamer — ins Chor und mauſete dem jungen Altiſten
ſein Penſum weg und ſangs dem Kirchenſprengel in
die Ohren, aber unter ſo viel Jammer nnd Puffen
als ſaͤng' er ſein Manuſkript den Rezenſenten. Denn
man muß es nun einmal der Welt bekannt machen,
daß der biſſige Klavieriſt dem friſirenden Altiſten
mit einem ſpitzwinklichten Triangel von Ellbogen
wuͤthich entgegenſtochert, um den fremden Singvogel
aus der Volerie des Chors zu ſtoßen. Da aber der
Saͤnger ſeinen rechten Arm zum feſten Notenpulte
ſeines Textes und den andern zur Streitkolbe mach¬
te, wie die an Jeruſalem bauenden Juden die eine
Hand voll Bauzeug, die andere voll Waffen hatten:
ſo konnte der Peruͤckenmacher, unter fortwaͤhrendem
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/86>, abgerufen am 21.11.2024.
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