Menschengeiste -- der sehnsüchtige Geist weint dann stärker und kann sich nicht mehr fassen und ruft in jammernden Entzücken zwischen die Töne hinein: ja alles was ihr nennt, das fehlet mir. . . .
Der räthselhafte Sterbliche hat auch eine namen¬ lose ungeheure Furcht, die keinen Gegenstand hat, die bei gedachten Geistererscheinungen erwacht und die man oft fühlt, wenn man von ihr spricht. . . .
Horion übergab sein zerstoßenes Herz mit stillen Thränen, die niemand fließen sah, den hohen Ada¬ gios, die sich mit warmen Eiderdunen-Flügeln über alle seine Wunden legten. Alles was er liebte, trat jetzt in seine Schatten-Laube, sein ältester Freund und sein jüngster -- er hört die Gewitterstürmer des Lebens läuten aber die Hände der Freundschaft stre¬ cken sich einander entgegen und fassen sich und noch im zweiten Leben halten sie sich unverweset. --
Alle Töne schienen die überirrdischen Echo seines Traumes zu seyn, welche Wesen antworteten, die man nicht sah und nicht hörte. . . .
Er konnte unmöglich mehr in dieser finstern Ein¬ zäunung mit seinen brennenden Phantasien bleiben und in dieser zu großen Entfernung vom Pianissimo. Er ging -- fast zu muthig und zu nah' -- durch ei¬ nen Laubengang den Tönen näher zu und drückte das Angesicht tief durch die Blätter, um endlich,
Menſchengeiſte — der ſehnſuͤchtige Geiſt weint dann ſtaͤrker und kann ſich nicht mehr faſſen und ruft in jammernden Entzuͤcken zwiſchen die Toͤne hinein: ja alles was ihr nennt, das fehlet mir. . . .
Der raͤthſelhafte Sterbliche hat auch eine namen¬ loſe ungeheure Furcht, die keinen Gegenſtand hat, die bei gedachten Geiſtererſcheinungen erwacht und die man oft fuͤhlt, wenn man von ihr ſpricht. . . .
Horion uͤbergab ſein zerſtoßenes Herz mit ſtillen Thraͤnen, die niemand fließen ſah, den hohen Ada¬ gios, die ſich mit warmen Eiderdunen-Fluͤgeln uͤber alle ſeine Wunden legten. Alles was er liebte, trat jetzt in ſeine Schatten-Laube, ſein aͤlteſter Freund und ſein juͤngſter — er hoͤrt die Gewitterſtuͤrmer des Lebens laͤuten aber die Haͤnde der Freundſchaft ſtre¬ cken ſich einander entgegen und faſſen ſich und noch im zweiten Leben halten ſie ſich unverweſet. —
Alle Toͤne ſchienen die uͤberirrdiſchen Echo ſeines Traumes zu ſeyn, welche Weſen antworteten, die man nicht ſah und nicht hoͤrte. . . .
Er konnte unmoͤglich mehr in dieſer finſtern Ein¬ zaͤunung mit ſeinen brennenden Phantaſien bleiben und in dieſer zu großen Entfernung vom Pianiſſimo. Er ging — faſt zu muthig und zu nah' — durch ei¬ nen Laubengang den Toͤnen naͤher zu und druͤckte das Angeſicht tief durch die Blaͤtter, um endlich,
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Menſchengeiſte — der ſehnſuͤchtige Geiſt weint dann
ſtaͤrker und kann ſich nicht mehr faſſen und ruft in
jammernden Entzuͤcken zwiſchen die Toͤne hinein: ja
alles was ihr nennt, das fehlet mir. . . .
Der raͤthſelhafte Sterbliche hat auch eine namen¬
loſe ungeheure Furcht, die keinen Gegenſtand hat,
die bei gedachten Geiſtererſcheinungen erwacht
und die man oft fuͤhlt, wenn man von ihr
ſpricht. . . .
Horion uͤbergab ſein zerſtoßenes Herz mit ſtillen
Thraͤnen, die niemand fließen ſah, den hohen Ada¬
gios, die ſich mit warmen Eiderdunen-Fluͤgeln uͤber
alle ſeine Wunden legten. Alles was er liebte, trat
jetzt in ſeine Schatten-Laube, ſein aͤlteſter Freund
und ſein juͤngſter — er hoͤrt die Gewitterſtuͤrmer des
Lebens laͤuten aber die Haͤnde der Freundſchaft ſtre¬
cken ſich einander entgegen und faſſen ſich und noch
im zweiten Leben halten ſie ſich unverweſet. —
Alle Toͤne ſchienen die uͤberirrdiſchen Echo ſeines
Traumes zu ſeyn, welche Weſen antworteten, die
man nicht ſah und nicht hoͤrte. . . .
Er konnte unmoͤglich mehr in dieſer finſtern Ein¬
zaͤunung mit ſeinen brennenden Phantaſien bleiben
und in dieſer zu großen Entfernung vom Pianiſſimo.
Er ging — faſt zu muthig und zu nah' — durch ei¬
nen Laubengang den Toͤnen naͤher zu und druͤckte
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/96>, abgerufen am 21.11.2024.
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