endlich Klotilde im fernen grünen Schimmer zu er¬ blicken. . . .
Ach er erblickte sie auch! -- Aber zu hold, zu paradiesisch! Er sah nicht das denkende Auge, den kalten Mund, die ruhige Gestalt, die so viel verbot und so wenig begehrte: sondern er sah zum ersten¬ mal ihren Mund von einem süßen harmonischen Schmerz mit einem unaussprechlich-rührenden Lä¬ cheln umzogen -- zum erstenmal ihr Auge unter ei¬ ner vollen Thräne nieder gesunken, wie ein Vergi߬ meinnicht sich unter einer Regenzähre beugt. O diese Gute verbarg ja ihre schönsten Gefühle am meisten! Aber die erste Thräne in einem geliebten Auge ist zu stark, für ein zu weiches Herz. . . Viktor kniete überwältigt von Hochachtung und Wonne, vor der edeln Seele nieder und verlor sich in die dämmernde weinende Gestalt und in die weinenden Töne -- Und da er endlich ihre Züge erblasset sah, weil das grüne Laub mit einem todtenfarbigen Wie¬ derschein der Lampen ihre Lippen und Wangen über¬ deckte -- und da sein Traum und die Klotilde wie¬ der erschien, die darin unter den blumigen Hügel versunken war -- und da seine Seele zerran in Träume, in Schmerzen, in Freuden, und in Wün¬ sche für die Gestalt, die ihrem Geburtstage mit an¬ dächtigen Thränen heiligte: o war es da zu seinem Zergehen noch nöthig, daß die Violine ausklang und
endlich Klotilde im fernen gruͤnen Schimmer zu er¬ blicken. . . .
Ach er erblickte ſie auch! — Aber zu hold, zu paradieſiſch! Er ſah nicht das denkende Auge, den kalten Mund, die ruhige Geſtalt, die ſo viel verbot und ſo wenig begehrte: ſondern er ſah zum erſten¬ mal ihren Mund von einem ſuͤßen harmoniſchen Schmerz mit einem unausſprechlich-ruͤhrenden Laͤ¬ cheln umzogen — zum erſtenmal ihr Auge unter ei¬ ner vollen Thraͤne nieder geſunken, wie ein Vergi߬ meinnicht ſich unter einer Regenzaͤhre beugt. O dieſe Gute verbarg ja ihre ſchoͤnſten Gefuͤhle am meiſten! Aber die erſte Thraͤne in einem geliebten Auge iſt zu ſtark, fuͤr ein zu weiches Herz. . . Viktor kniete uͤberwaͤltigt von Hochachtung und Wonne, vor der edeln Seele nieder und verlor ſich in die daͤmmernde weinende Geſtalt und in die weinenden Toͤne — Und da er endlich ihre Zuͤge erblaſſet ſah, weil das gruͤne Laub mit einem todtenfarbigen Wie¬ derſchein der Lampen ihre Lippen und Wangen uͤber¬ deckte — und da ſein Traum und die Klotilde wie¬ der erſchien, die darin unter den blumigen Huͤgel verſunken war — und da ſeine Seele zerran in Traͤume, in Schmerzen, in Freuden, und in Wuͤn¬ ſche fuͤr die Geſtalt, die ihrem Geburtstage mit an¬ daͤchtigen Thraͤnen heiligte: o war es da zu ſeinem Zergehen noch noͤthig, daß die Violine ausklang und
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endlich Klotilde im fernen gruͤnen Schimmer zu er¬
blicken. . . .
Ach er erblickte ſie auch! — Aber zu hold, zu
paradieſiſch! Er ſah nicht das denkende Auge, den
kalten Mund, die ruhige Geſtalt, die ſo viel verbot
und ſo wenig begehrte: ſondern er ſah zum erſten¬
mal ihren Mund von einem ſuͤßen harmoniſchen
Schmerz mit einem unausſprechlich-ruͤhrenden Laͤ¬
cheln umzogen — zum erſtenmal ihr Auge unter ei¬
ner vollen Thraͤne nieder geſunken, wie ein Vergi߬
meinnicht ſich unter einer Regenzaͤhre beugt. O
dieſe Gute verbarg ja ihre ſchoͤnſten Gefuͤhle am
meiſten! Aber die erſte Thraͤne in einem geliebten
Auge iſt zu ſtark, fuͤr ein zu weiches Herz. . . Viktor
kniete uͤberwaͤltigt von Hochachtung und Wonne,
vor der edeln Seele nieder und verlor ſich in die
daͤmmernde weinende Geſtalt und in die weinenden
Toͤne — Und da er endlich ihre Zuͤge erblaſſet ſah,
weil das gruͤne Laub mit einem todtenfarbigen Wie¬
derſchein der Lampen ihre Lippen und Wangen uͤber¬
deckte — und da ſein Traum und die Klotilde wie¬
der erſchien, die darin unter den blumigen Huͤgel
verſunken war — und da ſeine Seele zerran in
Traͤume, in Schmerzen, in Freuden, und in Wuͤn¬
ſche fuͤr die Geſtalt, die ihrem Geburtstage mit an¬
daͤchtigen Thraͤnen heiligte: o war es da zu ſeinem
Zergehen noch noͤthig, daß die Violine ausklang und
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/97>, abgerufen am 21.11.2024.
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