Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

auf 10 Fuß belief. -- Um endlich das übermächtige
Entzücken zu schließen, führt' er seine Augen weg
von dieser Glasmalerei und richtete sie (d. h. er
verdoppelte es blos) an das Original selber; und
das Ineinanderrinnen der Blicke, das Zusammenzit¬
tern der Seelen warf in den engen Augenblick die
Gefilde eines langen Himmels. -- Und sie sahen, daß
sie sich gefunden hatten und daß sie sich geliebt hat¬
ten, und daß sie sich verdienten. Aber unter dem
Weitergehen konnte Viktor nur das sagen: "o möch¬
"ten Sie so unaussprechlich glücklich seyn wie ich
"heute." -- Und sie antwortete leise, wie ein unter
weiche blätterlose Blüten verhauchter Zephyr so lei¬
se: "ich bin es wohl." . . . . Ach ich habe mir
oft es vorgemalt, wenn wir uns alle einander so
liebten wie zwei Liebende, wenn die Bewegungen al¬
ler Seelen wie bei diesen, gebundne Noten wären,
wenn die Natur uns allen zugleich den Nachklang
ihres bis über die Sterne reichenden Saitenbezuges
ablockte, anstatt daß sie nur ein liebendes Paar wie
ein Doppelklavier bewegt -- dann würden wir sehen,
daß ein Menschenherz voll Liebe ein unermeßliches
Eden einschlöße, und daß die Gottheit selber eine
Welt erschuf, um eine zu lieben. --

Aber ich will wieder so schreiben wie Klotilde
sprach, die den dichterischen Geist nur durch Tha¬
ten, nicht durch Worte offenbarte, gleich Schauspie¬

auf 10 Fuß belief. — Um endlich das uͤbermaͤchtige
Entzuͤcken zu ſchließen, fuͤhrt' er ſeine Augen weg
von dieſer Glasmalerei und richtete ſie (d. h. er
verdoppelte es blos) an das Original ſelber; und
das Ineinanderrinnen der Blicke, das Zuſammenzit¬
tern der Seelen warf in den engen Augenblick die
Gefilde eines langen Himmels. — Und ſie ſahen, daß
ſie ſich gefunden hatten und daß ſie ſich geliebt hat¬
ten, und daß ſie ſich verdienten. Aber unter dem
Weitergehen konnte Viktor nur das ſagen: »o moͤch¬
»ten Sie ſo unausſprechlich gluͤcklich ſeyn wie ich
»heute.» — Und ſie antwortete leiſe, wie ein unter
weiche blaͤtterloſe Bluͤten verhauchter Zephyr ſo lei¬
ſe: »ich bin es wohl.» . . . . Ach ich habe mir
oft es vorgemalt, wenn wir uns alle einander ſo
liebten wie zwei Liebende, wenn die Bewegungen al¬
ler Seelen wie bei dieſen, gebundne Noten waͤren,
wenn die Natur uns allen zugleich den Nachklang
ihres bis uͤber die Sterne reichenden Saitenbezuges
ablockte, anſtatt daß ſie nur ein liebendes Paar wie
ein Doppelklavier bewegt — dann wuͤrden wir ſehen,
daß ein Menſchenherz voll Liebe ein unermeßliches
Eden einſchloͤße, und daß die Gottheit ſelber eine
Welt erſchuf, um eine zu lieben. —

Aber ich will wieder ſo ſchreiben wie Klotilde
ſprach, die den dichteriſchen Geiſt nur durch Tha¬
ten, nicht durch Worte offenbarte, gleich Schauſpie¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0168" n="158"/>
auf 10 Fuß belief. &#x2014; Um endlich das u&#x0364;berma&#x0364;chtige<lb/>
Entzu&#x0364;cken zu <hi rendition="#g">&#x017F;chließen</hi>, fu&#x0364;hrt' er &#x017F;eine Augen weg<lb/>
von die&#x017F;er Glasmalerei und richtete &#x017F;ie (d. h. er<lb/><hi rendition="#g">verdoppelte</hi> es blos) an das Original &#x017F;elber; und<lb/>
das Ineinanderrinnen der Blicke, das Zu&#x017F;ammenzit¬<lb/>
tern der Seelen warf in den engen Augenblick die<lb/>
Gefilde eines langen Himmels. &#x2014; Und &#x017F;ie &#x017F;ahen, daß<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich gefunden hatten und daß &#x017F;ie &#x017F;ich geliebt hat¬<lb/>
ten, und daß &#x017F;ie &#x017F;ich verdienten. Aber unter dem<lb/>
Weitergehen konnte Viktor nur das &#x017F;agen: »o mo&#x0364;ch¬<lb/>
»ten Sie &#x017F;o unaus&#x017F;prechlich glu&#x0364;cklich &#x017F;eyn wie ich<lb/>
»heute.» &#x2014; Und &#x017F;ie antwortete lei&#x017F;e, wie ein unter<lb/>
weiche bla&#x0364;tterlo&#x017F;e Blu&#x0364;ten verhauchter Zephyr &#x017F;o lei¬<lb/>
&#x017F;e: »ich bin es wohl.» . . . . Ach ich habe mir<lb/>
oft es vorgemalt, wenn wir uns alle einander &#x017F;o<lb/>
liebten wie zwei Liebende, wenn die Bewegungen al¬<lb/>
ler Seelen wie bei die&#x017F;en, <hi rendition="#g">gebundne</hi> Noten wa&#x0364;ren,<lb/>
wenn die Natur uns allen zugleich den Nachklang<lb/>
ihres bis u&#x0364;ber die Sterne reichenden Saitenbezuges<lb/>
ablockte, an&#x017F;tatt daß &#x017F;ie nur ein liebendes Paar wie<lb/>
ein Doppelklavier bewegt &#x2014; dann wu&#x0364;rden wir &#x017F;ehen,<lb/>
daß ein Men&#x017F;chenherz voll Liebe ein unermeßliches<lb/>
Eden ein&#x017F;chlo&#x0364;ße, und daß die Gottheit &#x017F;elber eine<lb/>
Welt er&#x017F;chuf, um eine zu lieben. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Aber ich will wieder &#x017F;o &#x017F;chreiben wie Klotilde<lb/>
&#x017F;prach, die den dichteri&#x017F;chen Gei&#x017F;t nur durch Tha¬<lb/>
ten, nicht durch Worte offenbarte, gleich Schau&#x017F;pie¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0168] auf 10 Fuß belief. — Um endlich das uͤbermaͤchtige Entzuͤcken zu ſchließen, fuͤhrt' er ſeine Augen weg von dieſer Glasmalerei und richtete ſie (d. h. er verdoppelte es blos) an das Original ſelber; und das Ineinanderrinnen der Blicke, das Zuſammenzit¬ tern der Seelen warf in den engen Augenblick die Gefilde eines langen Himmels. — Und ſie ſahen, daß ſie ſich gefunden hatten und daß ſie ſich geliebt hat¬ ten, und daß ſie ſich verdienten. Aber unter dem Weitergehen konnte Viktor nur das ſagen: »o moͤch¬ »ten Sie ſo unausſprechlich gluͤcklich ſeyn wie ich »heute.» — Und ſie antwortete leiſe, wie ein unter weiche blaͤtterloſe Bluͤten verhauchter Zephyr ſo lei¬ ſe: »ich bin es wohl.» . . . . Ach ich habe mir oft es vorgemalt, wenn wir uns alle einander ſo liebten wie zwei Liebende, wenn die Bewegungen al¬ ler Seelen wie bei dieſen, gebundne Noten waͤren, wenn die Natur uns allen zugleich den Nachklang ihres bis uͤber die Sterne reichenden Saitenbezuges ablockte, anſtatt daß ſie nur ein liebendes Paar wie ein Doppelklavier bewegt — dann wuͤrden wir ſehen, daß ein Menſchenherz voll Liebe ein unermeßliches Eden einſchloͤße, und daß die Gottheit ſelber eine Welt erſchuf, um eine zu lieben. — Aber ich will wieder ſo ſchreiben wie Klotilde ſprach, die den dichteriſchen Geiſt nur durch Tha¬ ten, nicht durch Worte offenbarte, gleich Schauſpie¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/168
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/168>, abgerufen am 26.11.2024.